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Das zweite Zeichen

Titel: Das zweite Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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nickte. »Tracy hat versucht, dich zu finden.«
»Tracy.« Er sprach den Namen voller Abscheu aus. »Die hat ja keine Ahnung, überhaupt keine
Ahnung. Haben Sie mit ihr gesprochen?«
Rebus nickte. »Also, diese Frau ist der totale Loser. Sie hat Ronnie nie verstanden. Sie hat's
nicht mal versucht.«
Während Charlie redete, erfuhr Rebus einiges über ihn. Sein Akzent klang nach schottischer
Privatschule, was die erste Überraschung für Rebus war. Er wusste nicht, was er erwartet hatte,
aber das jedenfalls nicht. Charlie war außerdem kräftig gebaut, ein Ergebnis des
Rugby-Unterrichts. Er hatte lockige dunkelbraune Haare, nicht zu lang, und trug die übliche
studentische Sommerkluft: Turnschuhe, Jeans und T-Shirt.
Das T-Shirt war schwarz und an den Ärmeln aufgerissen.
»Ronnie ist also abgetreten, na und?«, sagte Charlie gerade. »Ist doch ein gutes Alter zum
Sterben. Leb schnell, stirb jung.«
»Möchtest du jung sterben, Charlie?«
»Ich?« Charlie lachte, ein schrilles Quieken, wie von einem kleinen Tier. »Verdammt, ich will
hundert Jahre alt werden. Ich will niemals sterben.« Er sah Rebus an. Seine Augen funkelten. »Und
Sie?«
Rebus dachte über die Frage nach, doch er war nicht bereit zu antworten. Er war dienstlich hier
und nicht, um über den Todestrieb zu diskutieren. Der Dozent, Dr. Poole, hatte ihm etwas über den
Todestrieb erzählt.
»Ich will wissen, was du über Ronnie weißt.«
»Soll das heißen, dass Sie mich mitnehmen, um mich zu vernehmen?«
»Wenn du willst. Wir können es hier machen, aber wenn du lieber ...«
»Nein, nein. Ich will auf die Polizeiwache. Los, nehmen Sie mich mit.« Dieser plötzliche
Eifer ließ Charlie jünger erscheinen, als er war.
Wer würde schon auf eine Polizeiwache wollen, um sich vernehmen zu lassen?
Auf dem Weg zum Parkplatz, wo Rebus' Auto stand, wollte Charlie unbedingt ein paar Schritte vor
Rebus gehen, die Hände auf dem Rücken, den Kopf gesenkt. Rebus war klar, dass Charlie so tat, als
trüge er Handschellen. Er spielte seine Rolle gut und lenkte reichlich Aufmerksamkeit auf sich
und Rebus. Irgendwer brüllte sogar »du Schwein« in Rebus' Richtung. Doch das Wort hatte mit den
Jahren jede Bedeutung verloren. Es hätte ihn mehr irritiert, wenn ihm jemand gute Fahrt gewünscht
hätte.

»Kann ich ein paar davon kaufen?«, fragte Charlie, während er die Fotos von seinem Werk
betrachtete, seinem Pentagramm.
Der Vernehmungsraum wirkte trostlos. Das sollte er auch. Aber Charlie hatte sich dort
niedergelassen, als ob er ihn mieten wollte.
»Nein«, sagte Rebus und zündete sich eine Zigarette an. Charlie bot er keine an. »Also, warum
hast du das gemalt?«
»Weil es schön ist.« Er betrachtete immer noch die Fotos. »Finden Sie nicht? So voller
Bedeutung.«
»Wie lange hast du Ronnie gekannt?«
Charlie zuckte die Achseln. Zum ersten Mal blickte er zu dem Kassettenrecorder hinüber. Rebus
hatte ihn gefragt, ob er etwas dagegen hätte, wenn das Gespräch aufgenommen würde. Er hatte die
Achseln gezuckt. Jetzt wirkte er ein wenig nachdenklich. »Vielleicht ein Jahr«, sagte er. »Ja,
ein Jahr. Ich hab ihn während der Prüfungen nach meinem ersten Jahr kennen gelernt. Damals fing
ich gerade an, mich für das wahre Edinburgh zu interessieren.«
»Das wahre Edinburgh?«
»Ja. Nicht nur der Dudelsackpfeifer auf dem Festungswall oder die Royal Mile oder das Scott
Monument.« Rebus musste an Ronnies Fotos vom Castle denken.
»Ich hab bei Ronnie an der Wand ein paar Fotos gesehen.« Charlie verzog das Gesicht.
»Ach Gott, die. Er hatte die Wahnidee, als Profi-Fotograf zu arbeiten. Blöde
Touristenaufnahmen für Postkarten zu machen. Das hielt jedoch nicht lange an. Wie die meisten von
Ronnies Plänen.«
»Er hatte allerdings eine schöne Kamera.«
»Was? Ach so, seine Kamera. Ja, das war sein ganzer Stolz.« Charlie schlug die Beine
übereinander. Rebus starrte die ganze Zeit auf die Augen des jungen Mannes, doch Charlie
betrachtete konzentriert die Fotos von dem Pentagramm.
»Wie war das mit dem wahren Edinburgh wovon du gesprochen hast?«
»Deacon Brodie«, sagte Charlie mit neu erwachendem Interesse.
»Burke und Hare, selbstgerechte Sünder und so Zeug. Aber das ist ja alles für die Touristen
bereinigt worden. Da hab ich mir gedacht, Moment mal, diese ganzen Elendsviertel existieren doch
immer noch. Da hab ich angefangen, Touren durch die Wohnsiedlungen zu machen, Wester Hailes,
Oxgangs, Craigmillar, Pilmuir. Und ich hab festgestellt,

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