Das zweite Zeichen
gräulich aussehenden Tees in der Hand.
Während er ihn betrachtete, versuchte er sich zu erinnern, wann er das letzte Mal eine gute Tasse
Tee getrunken hatte, richtigen Tee, den er selbst aufgebrüht hatte. Sein Leben schien sich nur
noch um Styroporbecher und Thermosflaschen zu drehen, um langweilige Sandwiches und
Schokoladenkekse. Pusten, nippen. Pusten, nippen. Schlucken.
Dafür hatte er eine akademische Karriere aufgegeben.
Das heißt, er hatte sich genau acht Monate in der akademischen Welt getummelt, als er nämlich
Geschichte an der University of London studierte. Den ersten Monat lang hatte er nur Ehrfurcht
vor der Stadt selbst empfunden und versucht, mit ihrer Größe klarzukommen und mit den
Schwierigkeiten, tatsächlich dort zu leben, sich fortzubewegen und mit Würde zu überleben. Im
zweiten und dritten Monat hatte er versucht, sich an das Universitätsleben zu gewöhnen, an neue
Freunde und die ständigen Diskussionen, und sich um Anschluss an die eine oder andere Gruppe
bemüht. Er hatte immer erst die Lage sondiert, bevor er irgendwo mitmachte, und festgestellt,
dass alle nervös waren wie Kinder, die gerade schwimmen lernten. Im vierten und fünften Monat
wurde er schließlich zum Londoner und pendelte täglich von seiner Bude in Battersea zur
Universität. Plötzlich wurde sein Leben von Zahlen beherrscht, von den Fahrplänen der Züge, Busse
und U-Bahnen, besonders von den Abfahrtzeiten der späten Busse und U-Bahnen, die ihn aus den
endlosen Diskussionen in den Kaffeebars herausrissen und zurück in sein lautes Zimmer brachten.
Die Möglichkeit, einen Zug zu verpassen, wurde allmählich zur Qual, und U-Bahn-Fahrten während
der Rushhour waren die reinste Hölle. Die Monate sechs und sieben verbrachte er zurückgezogen in
Battersea, lernte in seinem Zimmer und besuchte kaum Vorlesungen. Und im achten Monat, im Mai,
als die Sonne ihm den Rücken wärmte, verließ er London und kehrte in den Norden zurück, zurück zu
alten Freunden und einer plötzlichen Leere in seinem Leben, die durch Arbeit gefüllt werden
musste.
Aber warum in Gottes Namen hatte er sich für die Polizei entschieden?
Er knüllte den mittlerweile leeren Styroporbecher zusammen und zielte auf einen nahen
Abfallbehälter. Er fiel daneben. Was soll's, dachte Holmes. Dann riss er sich zusammen, ging zu
dem Becher, bückte sich, hob ihn auf und warf ihn in den Müll. Du bist hier nicht in London,
Brian, sagte er sich. Eine ältere Frau lächelte ihn an.
So leuchtet eine gute Tat in einer schlimmen Welt.
Eine schlimme Welt, das konnte man wohl sagen. Rebus hatte ihn da mitten hinein in einen
menschlichen Schmelztiegel geworfen. Pilmuir, Hiroshima der Seele. Er konnte gar nicht schnell
genug hier wegkommen. Hatte Angst, sich zu verstrahlen. Er hatte eine kleine Liste dabei, die er
säuberlich von den chaotischen Notizen des Telefongesprächs letzte Nacht angefertigt hatte. Die
nahm er jetzt aus der Tasche, um sie abzuhaken. Die Constables waren leicht aufzutreiben gewesen.
Rebus musste inzwischen mit ihnen gesprochen haben. Dann war er zu dem Haus in Pilmuir gegangen.
In seiner Innentasche steckten jetzt die Fotografien. Edinburgh Castle. Es waren wirklich gute
Aufnahmen. Ungewöhnliche Perspektiven. Und das Mädchen. Sie war wohl ganz hübsch. Schwer zu
schätzen, wie alt sie war, und ihr Gesicht zeigte die Spuren von einem harten Leben, doch auf
ihre Art war sie ganz attraktiv. Er hatte keine Ahnung, wie er etwas über sie herausfinden
sollte. Das Einzige, was er hatte, war dieser Name, Tracy. Natürlich gab es Leute, die er fragen
konnte. In Edinburgh war er auf heimischem Boden, ein Riesenvorteil bei dieser Art Arbeit. Er
hatte reichlich Kontakte, alte Freunde, Freunde von Freunden. Nach dem Fiasko in London hatte er
die Kontakte wieder hergestellt. Alle hatten ihm gesagt, er solle nicht gehen. Und alle waren
froh gewesen, ihn schon so bald wiederzusehen, nachdem sie ihn gewarnt hatten. Froh, weil sie
sich damit brüsten konnten, dass sie es ihm ja gleich gesagt hätten. Das war jetzt erst fünf
Jahre her... Irgendwie kam es ihm viel länger vor.
Warum war er zur Polizei gegangen? Seine erste Wahl war Journalismus gewesen. Das ging weit
zurück, bis in seine Schulzeit. Nun ja, Kindheitsträume konnten manchmal wahr werden, wenn auch
nur vorübergehend. Schließlich musste er als Nächstes zur Redaktion der lokalen Tageszeitung. Mal
sehen, ob er das Castle noch einmal aus so ungewöhnlichen
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