Dass du ewig denkst an mich
hatte gewußt, eines Tages würde sie in ein Zimmer
treten und ihn so vorfinden, auf dem Schaukelstuhl.
Seine Arme schlossen sich um sie. Jetzt saß sie auf seinem
Schoß, ihre Beine baumelten herunter, sein Gesicht strich über
das ihre. Er begann hin und her zu schaukeln, vor und zurück.
»Du warst meine Versuchung«, flüsterte er. »Wenn du
stirbst, wirst du mich befreien. Bete um Vergebung, wenn wir
das schöne Lied singen, das wir immer zusammen gesungen
haben. Dann wirst du aufstehen, mir einen Abschiedskuß geben
und das Messer auf dein Herz richten. Wenn du nicht
gehorchst, weißt du ja, was ich mit dir machen muß.«
Seine Stimme war tief, aber weich, als er zu singen begann:
»›Amazing Grace…‹«
Der Schaukelstuhl schwang vor und zurück, krachte bei
jeder Bewegung auf dem nackten Fußboden. »Sing, Lee!«
befahl er.
»›Einen armen Sünder wie mich gerettet…‹« Seine Hände
streichelten ihre Schultern, ihre Arme, ihren Hals. Nur eine
Minute, dann wird alles vorbei sein, versprach sie sich.
Und dann tönte ihre Sopranstimme klar und süß: ›»Einst war
ich verloren, doch jetzt hat der Herr mich gefunden … Einst
war ich blind, doch jetzt kann ich sehen.‹« Ihre Finger preßten
die Messerspitze gegen ihr Herz.
Wir brauchen nicht zu warten, drängte Leona. Tu es jetzt.
110
Justin fuhr, so schnell er es wagte, von New York nach New
Jersey und versuchte sich die ganze Zeit einzureden, daß
Laurie in Sicherheit sei.
Er hatte kaum hinter dem Steuer Platz genommen, als er
schon versucht hatte, Sarah anzurufen, um sie vor den Hawkins
zu warnen, aber in ihrer Wohnung hatte sich niemand
gemeldet. Alle zehn Minuten wählte er aufs neue.
Er hatte gerade die Route 17 nach Norden erreicht, als sich
endlich jemand meldete. Gregg war in der Wohnung. Sarah
war nicht da, erklärte er Justin, aber Laurie müßte jeden
Augenblick kommen.
»Lassen Sie Laurie nicht aus den Augen«, befahl Justin.
»Die Hawkins waren ihre Entführer. Da bin ich ganz sicher.«
»Hawkins! Dieser Hurensohn!«
Greggs Wut machte Justin bewußt, welch ungeheures Leid
Laurie hatte erdulden müssen. All die Monate hatte Hawkins
sie umkreist, sie terrorisiert, versucht, sie in den Wahnsinn zu
treiben. Er trat das Gaspedal durch. Der Wagen machte einen
Satz.
Er bog von der Route 17 in die Ridgewood Avenue ein, als
sein Telefon klingelte.
Es war Gregg. »Brendon Moody ist bei mir. Sarah glaubt,
Laurie könnte bei Hawkins im alten Haus sein. Wir fahren
hin.«
Justin passierte das Schwimmbad von Ridgewood und mußte
abbremsen. Es war überfüllt, und zahlreiche Familien mit
kleinen Kindern überquerten die Straße.
Das Bild der kleinen Laurie tauchte vor ihm auf, wie sie als
vierjähriges Kind in einem rosa Badeanzug vor dem Ungeheuer
stand, das sie entführt hatte.
111
Lauries Buick stand in der Einfahrt. Sarah rannte die
Terrassenstufen hinauf. Sie klingelte ein paarmal und drehte
dann den Türknopf. Die Tür war nicht abgeschlossen. Während
sie ins Foyer stürmte, hörte sie, wie irgendwo im ersten Stock
eine Tür zugeknallt wurde.
»Laurie!« rief sie.
Carla Hawkins kam mit zerzaustem Haar die Treppe
herunter und stieß, während sie den Gürtel ihres Morgenrockes
zuband, erregt hervor: »Sarah, Laurie ist vor ein paar Minuten
mit einem Messer ins Haus gekommen. Sie droht, sich selbst
zu töten. Bobby versucht, es ihr auszureden. Sie dürfen sie
nicht erschrecken. Bleiben Sie hier bei mir.«
Sarah stieß sie beiseite und hetzte die Treppe hinauf. Die Tür
zu Lauries Zimmer am anderen Ende des Korridors war
verschlossen. Ihre Füße berührten kaum den Boden, so schnell
rannte sie darauf zu. Von drinnen konnte sie eine
Männerstimme hören. Ganz langsam öffnete sie die Tür.
Laurie stand in der Ecke und starrte Bobby Hawkins mit
glasigen Augen an. Sie hielt ein Messer auf ihr Herz gerichtet.
Die Spitze war bereits in ihr Fleisch eingedrungen, und ein
dünner Blutfaden rann über ihre Bluse.
Hawkins war in einen weißen Frotteemantel gehüllt, der bis
zum Boden reichte; sein volles Haar war aufgelöst. »Du mußt
nur das tun, was der Herr von dir verlangt«, sagte er. »Erinnere
dich daran, was man von dir erwartet.«
Er versucht sie dazu zu bringen, sich selbst zu töten, dachte
Sarah. Laurie befand sich in einer Art Trance und nahm Sarah
überhaupt nicht wahr. Sarah hatte Angst davor, sie durch eine
plötzliche Bewegung zu erschrecken. »Laurie«, sagte sie leise.
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