Dass du ewig denkst an mich
Anfang.
Er hätte Laurie Kenyon nicht einmal in seinen kühnsten
Träumen als Verfasserin jener Briefe verdächtigt. Sie hatte ihm
gegenüber stets die Haltung einer respektvollen Studentin an
den Tag gelegt, die ihren Lehrer bewunderte und mochte.
Grant griff nach seiner Jacke und entschied, seinen Verdacht
zunächst noch für sich zu behalten. Einige der Briefe waren
geradezu zotig und obszön, und für eine Unschuldige wäre es
peinlich, danach gefragt zu werden, ganz besonders für eine
junge Frau, die eine solche Tragödie wie Laurie erlebt hatte. Er
knipste das Licht aus und machte sich auf den Heimweg.
Leona hielt sich im Gebüsch verborgen und sah ihm nach; ihre
Fingernägel krallten sich in die Handflächen.
Letzte Nacht hatte sie sich wieder vor seinem Haus
versteckt. Er hatte wie gewöhnlich die Vorhänge
offengelassen, und sie hatte ihn drei Stunden lang beobachtet.
Gegen neun hatte er sich eine Pizza aufgewärmt und sie mit
einem Glas Bier in sein Arbeitszimmer getragen. Dort hatte er
es sich auf seinem alten Ledersessel bequem gemacht, die
Schuhe ausgezogen und die Füße auf den Hocker gelegt.
Er hatte eine Biographie von George Bernard Shaw gelesen.
Wenn Allan sich fahrig mit der Hand durchs Haar fuhr,
durchströmte sie ein warmes Gefühl. In der Vorlesung pflegte
er gelegentlich dieselbe Geste zu machen. Als er das Bier
getrunken hatte, sah er auf das leere Glas, zuckte die Achseln
und ging in die Küche, um gleich darauf mit einem neuen
zurückzukommen.
Um elf sah er sich die Nachrichten an, schaltete dann das
Licht aus und verließ das Zimmer. Sie wußte, daß er jetzt zu
Bett ging. Er ließ das Fenster immer offen, aber die
Schlafzimmervorhänge waren zugezogen. Meistens ging sie,
nachdem er das Licht ausgeschaltet hatte. Aber einmal hatte sie
die Schiebetür zu bewegen versucht und festgestellt, daß das
Schloß nicht eingeschnappt war. Von da an schlich sie sich von
Zeit zu Zeit hinein und kuschelte sich in seinen Sessel. Sie
redete sich dann immer ein, daß er sie gleich rufen würde:
»Liebste, komm doch ins Bett. Ich bin so allein.«
Ein- oder zweimal hatte sie gewartet, bis sie sicher war, daß
er schlief, und hatte sich dann auf Zehenspitzen ins
Schlafzimmer geschlichen und ihn angesehen. Letzte Nacht
hatte sie gefroren und war übermüdet nach Hause gegangen,
nachdem er das Licht im Arbeitszimmer ausgemacht hatte.
Kalt und sehr müde.
Kalt.
Laurie rieb die Hände aneinander. Ganz plötzlich war es so
finster geworden. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie finster es
war, als sie vor einer Minute aus Professor Grants Büro
gekommen war.
29
»Ridgewood ist einer der schönsten Orte in New Jersey«,
erklärte Betsy Lyons der dezent gekleideten Frau, die sich mit
ihr Fotos von Immobilienangeboten ansah. »Preislich gesehen
liegt es natürlich eher hoch. Aber so wie der Markt im
Augenblick aussieht, gibt es ein paar ausgezeichnete
Angebote.«
Opal nickte nachdenklich. Dies war jetzt ihr dritter Besuch
bei der Maklerin. Sie hatte gesagt, daß ihr Mann nach New
York versetzt würde und sie deshalb vorsorglich Häuser in
New Jersey, Connecticut und Westchester ansehen wolle.
»Du mußt ihr Vertrauen gewinnen«, hatte Bic ihr
eingeschärft. »All diese Immobilienmakler sind darauf
geschult, potentielle Käufer im Auge zu behalten, damit die
nichts mitgehen lassen, wenn man ihnen Häuser zeigt.
Zunächst mußt du allen sagen, daß du dich in verschiedenen
Gegenden umsiehst und dann, nach ein oder zwei Besuchen,
daß dir New Jersey am besten gefällt. Beim ersten Besuch
mußt du sagen, du hättest eigentlich im Preis nicht so hoch
gehen wollen wie Ridgewood. Und dann deutest du an, daß es
dir dort wirklich gut gefällt und du es dir in Wirklichkeit
leisten könntest. Am Ende bringst du sie dazu, daß sie dir an
einem der Freitage, an denen wir herauskommen, Lees Haus
zeigt. Lenke sie ab, und dann…«
Es war an einem frühen Freitagnachmittag. Der Plan
funktionierte. Opal hatte Betsy Lyons’ Vertrauen gewonnen.
Die Zeit, das Kenyon-Haus anzusehen, war gekommen. Die
Haushälterin kam Montag und Freitag vormittags und würde
bereits aus dem Haus sein. Die ältere Schwester war beim
Gericht und war im Augenblick mit einem Prozeß beschäftigt,
der viel Aufsehen erregte. Opal würde Lees Haus ungestört
besichtigen können.
Was Betsy Lyons an Carla Hawkins gefiel, war ihre
Offenheit. Sie hatte von Anfang an die Karten auf den Tisch
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