Dass du ewig denkst an mich
außerdem, New York in der Nähe zu haben.
Natürlich hatten sich im Laufe der Jahre einige Männer für
sie interessiert. Sie hatte sich oft danach gesehnt, jemand
Besonderen zu finden, sich aber schließlich damit abgefunden,
daß sie wohl in die Fußstapfen ihrer unverheirateten Tanten
würde treten müssen.
Dann hatte sie Allan Grant kennengelernt.
Daß sie im Begriff war, sich in ihn zu verlieben, war Vera
erst klargeworden, als es schon zu spät gewesen war. Er war
ein Kollege an ihrer Fakultät, ein Mensch, dessen Intellekt sie
bewunderte und dessen Popularität begreiflich war.
Angefangen hatte es im Oktober, als Allans Wagen eines
Abends nicht anspringen wollte und sie ihm angeboten hatte,
ihn von einem Vortrag im Auditorium nach Hause zu bringen.
Er hatte sie auf einen Drink ins Haus eingeladen, und sie hatte
die Einladung angenommen, ohne daß ihr dabei in den Sinn
gekommen wäre, daß seine Frau nicht zu Hause war. Daß
Karen in Manhattan arbeitete, wußte sie, nicht aber, daß sie
dort ein Apartment hatte.
Zwei Tage später brachte Allan ihr abends ein Buch zurück.
Sie hatte sich gerade ein Hühnchen gebraten, und das Haus war
von dem einladenden Duft erfüllt. Eine Bemerkung, die er
darüber machte, veranlaßte sie dazu, ihn spontan zum
Abendessen einzuladen.
Allan war es gewohnt, vor dem Abendessen einen langen
Spaziergang zu machen. Ab und zu schaute er bei ihr vorbei;
das passierte an den Abenden, die Karen in New York
verbrachte, immer häufiger. Er pflegte anzurufen und sie zu
fragen, ob sein Besuch willkommen sei, und wenn ja, was er
mitbringen solle. Gewöhnlich brachte er Wein oder Käse oder
etwas Obst mit und verabschiedete sich meist gegen acht oder
halb neun. Er war ihr gegenüber immer sehr aufmerksam, aber
nicht anders, als wenn der Raum voller Menschen gewesen
wäre.
Trotzdem lag Vera nachts oft wach und fragte sich, wie
lange es wohl dauern würde, bis die Leute anfingen, über sie zu
klatschen. Ohne ihn gefragt zu haben, war sie überzeugt, daß er
seiner Frau nicht erzählte, wieviel Zeit sie miteinander
verbrachten.
Die Leona-Briefe zeigte Allan ihr sofort, als sie bei ihm
einzutreffen begannen. »Ich werde sie Karen nicht sehen
lassen«, sagte er. »Sie würde sich nur aufregen.«
»Aber sie würde doch nicht an diesen Unsinn glauben?«
»Nein, aber Karen ist innerlich viel unsicherer, als man bei
ihrer Bildung und ihrem Auftreten annehmen würde, und ich
bin ihr eine größere Stütze, als ihr wahrscheinlich klar ist.« Ein
paar Wochen später erzählte er ihr, daß Karen die Briefe
gefunden hatte. »Genau wie ich es erwartet hatte: Jetzt ist sie
beunruhigt und macht sich Sorgen.«
Damals hatte Vera sich gedacht, daß Karen eigentlich nicht
so recht erkennen ließ, was ihr wirklich wichtig war - auf der
einen Seite machte sie sich Sorgen um ihren Mann,
andererseits ließ sie ihn die meiste Zeit allein.
Anfangs machte Allan den Eindruck, als wolle er ganz
bewußt allen persönlichen Themen aus dem Wege gehen, fing
aber dann an, aus seiner Jugendzeit zu erzählen. »Mein alter
Herr ist abgehauen, als ich acht Monate alt war. Meine Mutter
und meine Großmutter… die waren vielleicht ein Paar! Meine
Großmutter hatte ein großes altes Haus in Ithaca und
vermietete Zimmer an alte Leute. Ich sagte immer, ich sei in
einem Altenheim aufgewachsen. Vier oder fünf der Mieter
waren pensionierte Lehrer, und so hatte ich immer Hilfe bei
meinen Hausaufgaben. Meine Mutter arbeitete in dem
Kaufhaus in der Stadt. Sie sparten sich jeden Penny für meine
Ausbildung vom Mund ab und legten das Geld geschickt an.
Ich könnte schwören, daß sie enttäuscht waren, als ich ein
Stipendium für Yale bekam. Kochen konnten beide
hervorragend, ich erinnere mich immer noch ganz deutlich
daran, wie herrlich es war, wenn ich an einem kalten
Nachmittag, nachdem ich meine Zeitungen ausgetragen hatte,
nach Hause kam und die Tür öffnete und mir ein warmer
Schwall entgegenschlug und ich all die herrlichen Düfte aus
der Küche roch.«
All das hatte ihr Allan eine Woche vor seinem Tod erzählt
und dann gemeint: »Und, Vera, genauso fühle ich mich, wenn
ich hierherkomme. Wärme und Gefühl, zu jemandem nach
Hause zu kommen, mit dem ich Zusammensein möchte und
dem hoffentlich auch meine Gesellschaft etwas bedeutet.« Er
hatte den Arm um sie gelegt. »Wirst du Geduld mit mir haben?
Ich muß da etwas regeln.«
An dem Abend vor seinem Tod war Allan das
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