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Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Zoderer
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langsam brachte er eine halbe Wendung zustande, so daß seine Nase fast den Spiegel der Rückwand berührte. Er sah ihr schmales Profil, das kurzgeschnittene, gewellte Haar, das nur den oberen Ohrbogen verdeckte, am Läppchen trug sie eine weißmetallene Blüte.
    Johanna, sagte er.
    Gianna, verbesserte sie ihn.
    Mit einem ruckelnden Stoß hielt der Lift.
    Als er die Zimmertür aufsperren wollte, bemerkte er, daß er sie abzuschließen vergessen hatte. Er schob Gianna mit einer Hand, die er leicht auf ihren Pelzrücken gelegt hatte, vor sich her in den Raum, der so dunkel war, daß wahrscheinlich nur er sofort die zur Seite geschlagene Bettdecke und das Buch auf dem Leintuch wahrnahm. Während sie sich langsam zwischen Wandschrank und Bett zum Fenster bewegte, stieß Lukas mit einem Fuß seine Hausschuhe unter das Nachtkästchen, er knipste keine Lampe an, sondern trat neben Gianna und öffnete das Innenfenster; als er auch den Riegel der Holzläden hochdrücken wollte, zog sie seine Hand auf die Fensterbrüstung herunter und ließ ihre Finger auf dem Rücken seiner Hand liegen, wie vergessen. Er spürte die Wärme, die aus ihrer Haut kam, und doch fröstelte ihn, und es war nicht die kühle Luft, die durch die Schlitze der Fensterläden hereinzog, er wünschte in einem kahlen Raum allein zu sein, er wußte nicht mehr, warum er mit diesem Mädchen hinter geschlossenen Fensterläden stand. Trotzdem strich er mit seiner freien Hand über die Finger, die ihn hielten, bevor er sich aus ihrer Berührung löste.
    Magst du nicht den Mantel ablegen? fragte er und klappte die Brettchen eines Jalousienflügels auf, das matte Licht der Straßenbeleuchtung tat ihm wohl. Während er ihren Mantel auf einen Kleiderbügel hängte, kramte sie in seinem Toilettenzeug vor dem Spiegel des Waschbeckens, er sah, wie sie mit dem trockenen Rasierpinsel die Wangen einseifte und dabei ihr Gesicht verzerrte. Für einige Sekunden schloß er die Augen. Über eine Treppe herab kommt sie ihm entgegen, er weicht zur Seite, ruhig. Auf dem letzten Absatz hält sie einen Moment lang inne, aber sie dreht sich nicht um, er sieht sie über den Platz gehen, in weißer Jacke und weißen Hosen, langsam und federnd, ohne Hüftenschwingen, ein ruhiges, rhythmisches Gehen auf Katzenfüßen, und doch aufrecht und strahlend.
    Er lehnte sich mit einer Schulter an den Schrank, aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie Gianna mit seinem Kamm ihre kurzen Lokken an den Schläfen aufwirft, wie sie mit den Kammzähnen über ihre Oberlippe streicht, als frisiere sie einen Schnurrbart. Sie hat dieselbe flügelige, etwas gebogene Nase, dasselbe schmale, beinahe spitz zusammenlaufende Kinn, Johanna liegt im Gras, zwischen den geschrumpelten Kastanienschalen, sie sehen keinen großen Sternenhimmel über sich, aber die Laubkrone einer Edelkastanie, er riecht das Gras und auch Johannas Schenkel, gegen die er sein Gesicht preßt, während ihr Oberkörper sich aufrichtet und sie sich immer wieder über ihn zu beugen versucht, bis sie sein Haar erreicht, es streichelt und knetet, ohne daran zu zerren.
    Mit einer abrupten Bewegung löste er sich von der Schrankkante und näherte sich langsam Gianna, die den Kopf über das Waschbecken senkte und mit einer Hand den Wasserhahn aufdrehte, sie spritzte sich mit den Fingern Wasser ins Gesicht, während Lukas sich neben ihr herunterneigte und ihren Nacken zu küssen versuchte, aber er traf, da sie sich wieder aufrichtete, nur die Schläfenhaare.
    Vorsichtig, als erwartete sie Schläge, wandte sie sich um, er sah das Zittern ihrer Mundwinkel und wollte sie mit beiden Händen an sich ziehen, da berührte sie mit den nassen Fingern seine Stirn und schubste ihn, bildete er sich ein, mit einem leichten Stoß von sich, er bemerkte erst jetzt, daß er noch nicht einmal seinen Mantel abgelegt hatte. Laß, sagte sie, als er aus einem Ärmel zu schlüpfen begann, und zog ihm selbst den Mantel wieder fest um die Schultern. Gib mir meinen Pelz, ich muß gehen.
    Lukas war so überrascht, daß er dachte, sie hat recht, sie hat recht, und er schaltete das Licht ein. Die Lampe, die an einem weißen Kabel von der Zimmerdecke hing, ließ alles kalt und kahl erscheinen, den billigen Schrank, die zerknitterte Bettwäsche, das Waschbecken, seinen am Vortag gekauften schwarzen Koffer, der zwischen Tür

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