Daughter of Smoke and Bone
meisten für ein langes Leben. Eine Händlerin, das weibliche Oberhaupt eines Wildererklans in Pakistan, hatte den Wunsch vermasselt und vergessen, sich Jugend und Gesundheit zu wünschen, so dass sie jetzt eine verschrumpelte, gebrechliche alte Hexe war, ein Beweis für Brimstones Warnung, dass selbst ein Bruxis seine Grenzen hatte.
Nun ja, ein Bruxis wäre ein echt guter Fang gewesen, aber was Karou wirklich brauchte, waren zwei Gavriels, und die hatte sie jetzt. Sie sammelte die Wünsche auf – mitsamt den Barthaaren, die immer noch daran hingen – und stopfte die ganze Sauerei in ihre Tasche. Nur einen Shing behielt sie in der Hand; ihn brauchte sie für ihren Abgang.
»Denkst du ernsthaft, damit kommst du davon?«, fragte Bain in bedrohlichem Ton. »Wenn du einen Jäger anpisst, wirst du als Gejagte leben, Kleine, nie sicher, wer dich gerade verfolgt.«
Karou setzte ein nachdenkliches Gesicht auf. »Hm. Das sollte ich lieber vermeiden, was?« Sie hob die Pistole und sah über den Lauf hinweg zu, wie er die Augen weit aufriss und dann zusammenkniff, als sie laut und enthusiastisch wie ein kleiner Junge » PENG « brüllte. Dann ließ sie die Pistole wieder sinken. »Dummerchen. Ein Glück für dich, dass ich nicht
so
ein Mädchen bin.«
Sie legte die Pistole aufs Sofa, und als er sich aufsetzte, wünschte sie ihn in den Schlaf. Sein Kopf schlug auf den Boden, und der Shing verschwand aus ihrer Hand. Karou blickte nicht zurück. Mit entschlossenen Schritten lief sie die Terrassenstufen hinunter und den Schotterweg zurück zu der Ansammlung von Briefkästen, wo ihr Taxi auf sie warten sollte.
Sie kam zu den Briefkästen. Weit und breit kein Taxi.
Karou seufzte. Der Fahrer hatte höchstwahrscheinlich den Schuss gehört und sich aus dem Staub gemacht. Sie konnte es ihm nicht übelnehmen. Für ihn musste es aussehen wie eine Szene aus einem Film Noir: Ein Mädchen zahlt einem Taxifahrer eine lächerliche Summe, damit er sie von Boise in dieses Niemandsland fährt, wo sie in einer Jagdhütte verschwindet und einen Schuss abfeuert. Welcher vernünftige Mensch würde abwarten, wie sich diese Geschichte weiterentwickelt?
Mit einem neuerlichen Seufzen schloss Karou die Augen und hätte sie fast gerieben, bevor sie sich gerade noch rechtzeitig daran erinnerte, dass sie mit den Fingern durch Bains schmutzigen Bart gefahren war, und die Hände stattdessen an ihrer Hose abwischte. Müde griff sie in ihre Tasche. Um das Taxi zum Umdrehen zu bewegen, hätte sie einen Lucknow gebraucht, also nahm sie einen in die Hand und wollte den Wunsch gerade einsetzen, als sie plötzlich innehielt. »Warum hab ich nicht gleich daran gedacht?« Ein Grübchen erschien in ihrer Wange, und sie grinste breit.
Stattdessen holte sie einen Gavriel aus ihrer Tasche. »Na mein Großer?«, flüsterte sie ihm zu. Sie wog ihn in der Hand, legte den Kopf zurück und sah in den Himmel hinauf.
Ein leeres Lutschbonbon
Drei Monate.
Vor drei Monaten waren die Portale in Flammen aufgegangen, und Karou hatte immer noch nichts gehört. Wie oft waren ihre Gedanken, ganz gleich, womit sie sonst beschäftigt war, zu dem verbrannten Zettel in Kishmishs Krallen zurückgekehrt? Wie eine gesprungene Schallplatte: Was hatte darauf gestanden? Was hatte Brimstone ihr mitteilen wollen, als die Portale brannten?
Was hatte auf dem Zettel gestanden?
Und dann war da auch noch der Wunschknochen, den sie jetzt um den Hals trug wie früher Brimstone. Natürlich war ihr in den Sinn gekommen, dass er ein Wunsch sein könnte, einer, der noch mächtiger war als ein Bruxis, und sie hatte ihn in der Hand gehalten und sich gewünscht, dass sich ein Portal nach Anderswo öffnen würde, aber nichts dergleichen war passiert. Dennoch hatte es etwas Beruhigendes, ihn in der Hand zu halten. Die beiden zerbrechlichen Enden des Knochens passten perfekt zwischen ihre Finger, als wären sie zum Festhalten gemacht. Doch wenn er tatsächlich mehr war als ein normaler Knochen, wusste sie nicht, worin sein Zweck bestand, und was die Frage anging, warum Brimstone ihn ihr geschickt hatte, befürchtete sie, dass sie die Antwort nie erfahren würde. Die Angst gärte in ihr zusammen mit all den anderen ungelösten Fragen, und dazu kamen immer neue Ängste, seltsam und undefinierbar.
Irgendetwas passierte mit ihr.
Manchmal sah sie in den Spiegel und erlebte einen Moment absoluter Fremdheit, als würde sie dem Blick einer Unbekannten begegnen. Wenn jemand ihren Namen rief, reagierte sie
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