Daughter of Smoke and Bone
ausgestreckten Handflächen. Der rasende Kolibri-Herzschlag setzte immer wieder aus, viel zu lange, während sie sich über ihn beugte und nur ein Wort wiederholen konnte. »Nein nein nein nein …« Sein Schnabel war geöffnet, und die gespaltene Zunge bewegte sich krampfhaft, bis das aufgeregte Zwitschern mit seinem Herzschlag verklang. »Nein nein nein. Kishmish, nein …« Und dann starb er. Karou blieb auf ihrem Balkon hocken und hielt Brimstones toten Botschafter zärtlich fest. Ihr »nein nein nein« war nur noch ein ersticktes Flüstern, aber sie hörte nicht auf, bis Zuzana ihre Stimme fand: »Karou?«
Karou sah auf.
»Ist das …?« Zuzana deutete mit zittriger Hand auf Kishmishs leblose Gestalt. Sie sah völlig fassungslos aus. »Das … ähm. Das sieht aus wie …«
Karou half ihr nicht auf die Sprünge. Sie sah auf Kishmish herab und versuchte seinem plötzlichen Tod einen Sinn abzuringen.
Er ist in Flammen hierhergeflogen. Er wollte zu mir.
Sie sah, dass etwas an seinen Fuß gebunden war: ein Stück von Brimstones dickem Notizpapier, das zu Asche zerfiel, als sie es berührte, und … noch etwas. Ihre Finger zitterten, als sie es auswickelte, und dann hielt sie den Gegenstand in der Hand. Ihr Herzschlag setzte aus, und eine Welle von kindlicher Furcht überflutete sie. Sie durfte ihn doch gar nicht anfassen.
Es war Brimstones Wunschknochen.
Kishmish hatte ihn ihr gebracht.
In Flammen
hatte er ihn ihr gebracht.
Draußen in der Stadt heulte eine Sirene auf, und bei dem Klang traf die Erkenntnis Karou wie ein Schlag in die Magengrube. Flammen. Schwarze Handabdrücke. Das Portal. Sie rappelte sich auf, lief in ihre Wohnung und zog sich hastig Jacke und Stiefel an. Zuzana folgte ihr und fragte: »Was ist los, Karou? Was ist das? Was …?«, aber Karou hörte sie kaum.
Sie lief aus der Tür und die Treppe hinunter, Kishmish immer noch in der Hand und den Wunschknochen fest umklammernd. Zuzana begleitete sie nach draußen und den ganzen Weg nach Josefov, zu Brimstones Prager Portal.
Es stand in Flammen, ein blau-weißes Inferno, von dem die Wasserstrahlen der Feuerwehrschläuche nutzlos abprallten. Karou wusste es nicht, aber auf der ganzen Welt brannten die Türen mit dem schwarzen Handabdruck lichterloh. Das Feuer konnte nicht gelöscht werden, aber es breitete sich auch nicht aus. Die Flammen verschlangen die Türen und die Magie, die darin lag, dann erstickten sie sich selbst und hinterließen versengte Löcher in Dutzenden von Gebäuden. Metalltüren schmolzen, so heiß war das Feuer, und Augenzeugen sahen durch die Rauchschwaden die Silhouetten von Flügeln.
Karou erblickte die lodernden Flammen und verstand, was sie bedeuteten. Die Verbindung ins
Anderswo
war durchtrennt, und sie konnte nicht mehr dorthin zurück.
Hoffnung hat ihre eigene Magie
Als Karou noch ein kleines Mädchen war, benutzte sie eine Handvoll Scuppies dazu, eine zerknitterte Zeichnung zu glätten, auf die Yasri sich gesetzt hatte. Knick für Knick, Wunsch für Wunsch – eine mühsame Prozedur, die sie hochkonzentriert, die Zunge in den Mundwinkel geklemmt, bewerkstelligte.
»Fertig!« Stolz hielt sie das Bild hoch.
Brimstone machte ein Geräusch, das sie an einen enttäuschten Bären erinnerte.
»Was?«, wollte sie wissen, acht Jahre alt, dunkelhaarig, dunkeläugig und so dünn wie der Schatten eines Schösslings. »Es ist eine gute Zeichnung. Sie hat es verdient, gerettet zu werden.«
Es war tatsächlich eine gute Zeichnung, eine Darstellung von Karou als Chimäre, mit Fledermausflügeln und einem Fuchsschwanz.
Issa klatschte vor Begeisterung in die Hände. »Oh, mit einem Fuchsschwanz würdest du wundervoll aussehen. Brimstone, kann sie nicht so einen Schwanz haben, nur für heute?«
Karou hätte lieber die Flügel gehabt, aber sie bekam keins von beidem. »Nein«, antwortete der Wunschhändler in verdrossenem Ton.
Issa bettelte nicht. Sie zuckte nur die Schultern, küsste Karou auf die Stirn und hängte das Bild an einen gut sichtbaren Ehrenplatz. Aber Karou gefiel die Idee. »Warum nicht?«, fragte sie. »Dafür braucht man nur einen Lucknow.«
»Nur?«, echote Brimstone. »Und was weißt du über den Wert von Wünschen?«
Sie leierte die Reihenfolge in einem Atemzug herunter. »Scuppy Shing Lucknow Gavriel Bruxis!«
Doch das meinte er anscheinend nicht. Wieder der Bärenton, wie ein Knurren durch die Nase, und er sagte: »Mit Wünschen ist nicht zu spaßen, Kind.«
»Und was wünschst du
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