Daughter of Smoke and Bone
waren. An die Wand des Institutsgebäudes hatte irgendein Scherzkeks das Wort
volnost
– Freiheit – als rotes Graffiti an die Wand gesprüht – dorthin, wo Freiheitskämpfer es zu ihrer Zeit in Naziblut geschrieben hatten –, und in der GIFTKÜCHE musste sie Akiva erklären, dass die Gasmasken aus einem anderen Krieg stammten als das Freiheitsgraffiti.
»Die sind aus dem Ersten Weltkrieg«, sagte sie und setzte eine auf. »Vor hundert Jahren. Die Nazis kamen später.« Sie warf ihm einen bissigen Seitenblick zu. »Und nur dass du’s weißt, die Eindringlinge waren immer die Bösen. Immer.«
Mik stieß zu ihnen, und die Situation zu viert war erst einmal ein bisschen schwierig, weil er nichts über andere Welten und andere Rassen wusste und dachte, Karou wäre einfach nur exzentrisch. Sie sagte ihm die Wahrheit – dass sie wirklich geflogen waren und dass Akiva ein Engel aus einer anderen Welt war – aber in ihrem üblichen sarkastischen Ton, so dass er dachte, sie würde ihn aufziehen. Doch sein Blick schweifte immer wieder zu Akiva zurück, mit derselben Neugier, die alle Menschen in seiner Gegenwart ergriff, und Karou sah, dass Akiva die Aufmerksamkeit unangenehm war. Auf einmal wurde ihr bewusst, dass er nichts von der Macht seiner Schönheit zu wissen schien.
Später schlenderten sie zu viert über die Karlsbrücke. Mik und Zuzana gingen ein paar Schritte voraus, so eng umschlungen, als wollten sie sich nie wieder loslassen, und Karou und Akiva folgten ihnen gemächlich.
»Wir können heute Abend nach Marokko aufbrechen«, sagte Karou. »Ich wollte ein Flugzeug nehmen, aber ich glaube, für dich ist das keine Option.«
»Nein?«
»Nein. Du bräuchtest einen Reisepass, in dem deine Nationalität beurkundet ist, und ich glaube, ›Engel aus einer anderen Welt‹ würden sie nicht gelten lassen.«
»Du kannst noch fliegen, oder?«
Karou probierte es unauffällig aus, erhob sich ein paar Zentimeter vom Boden und ließ sich gleich wieder herab. »Der Weg ist allerdings ziemlich weit.«
»Ich werde dir helfen. Selbst wenn du nicht fliegen könntest, könnte ich dich tragen.«
Sie stellte sich vor, die Alpen und das Mittelmeer in Akivas Armen zu überqueren. Es war absolut keine unangenehme Vorstellung, aber trotzdem. Sie war schließlich keine Jungfrau in Nöten. »Ich komme schon klar.«
Wenige Meter vor ihnen drückte Mik Zuzana einen leidenschaftlichen Kuss auf die Lippen, und Karou blieb wie angewurzelt stehen, denn der Anblick der beiden Turteltauben machte sie verlegen. Sie drehte sich zum Brückengeländer um und sah auf den Fluss hinaus. »Es muss komisch für dich sein, den ganzen Tag einfach mal nichts zu machen.«
Akiva nickte. Auch er stützte die Arme auf das Brückengeländer, und sein Ellbogen streifte ihren. Karou entging es nicht, dass er jede Gelegenheit nutzte, sie ganz unauffällig zu berühren. »Ich versuche mir immer wieder vorzustellen, die Seraphim würden so leben, aber ich kann es nicht.«
»Wie leben die Seraphim denn?«, fragte Karou.
»Der Krieg bestimmt alles. Wenn sie nicht kämpfen, bereiten sie sich darauf vor, und sie leben immer in Angst. Alle haben sie schon jemanden verloren.«
»Und die Chimären? Wie sieht ihr Leben aus?«
Akiva zögerte. »Niemand in Eretz hat ein gutes Leben. Es ist kein sicherer Ort.« Er legte eine Hand auf ihren Arm. »Karou, dein Leben ist hier, in dieser Welt. Wenn du Brimstone etwas bedeutest, würde er nicht wollen, dass du seinetwegen diese zerrüttete Welt aufsuchst. Du solltest hierbleiben.« Dann senkte er die Stimme zu einem Flüstern, und sie war nicht sicher, ob sie ihn richtig verstand. »Ich könnte mit dir hierbleiben.«
Sein Griff war fest und doch sanft; seine Hand auf ihrem Arm war warm, und sie fühlte sich absolut richtig an. Karou gab sich für einen Moment der Hoffnung hin, dass sie haben könnte, was er ihr zugeflüstert hatte: ein Leben mit ihm. Ein Leben mit allem, was sie sich je gewünscht hatte: Stabilität, Geborgenheit, Liebe.
Liebe.
In diesem Augenblick klang das Wort nicht unpassend oder albern, nicht wie im Teehaus, als Zuzana ihre Scherze gemacht hatte. Es klang verlockend. Unwiderstehlich. Karou dachte nicht nach. Sie griff nach Akivas Hand.
Und versetzte ihm einen magischen Schlag.
Schnell zog sie ihre Hand zurück. Das Hamsa! Sie hatte es direkt auf seine Haut gelegt. Ihre Handfläche brannte, Akiva war einen Schritt zurückgeschleudert worden, und er hielt sich zitternd seine versengte
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