Daughter of Smoke and Bone
sofort.
»Ich hab ihn daran erinnert, dass wir Feinde sind.«
»Also wirklich! Was auch immer ihr seid, Karou, ihr seid ganz sicher
keine
Feinde.«
»Doch, das sind wir«, widersprach sie, und das war die Wahrheit, ganz gleich, wie eindringlich ihr Körper das Gegenteil signalisierte.
»Warum guckst du dir dann Sonnenaufgänge mit ihm an und gehst mit ihm ins Teehaus?«
»Du hast recht. Warum mache ich das? Ich weiß es nicht.« Sie dachte daran, was sie stattdessen tun sollte: So schnell wie möglich nach Marokko aufbrechen, Razgut finden und durch das Portal im Himmel nach Eretz fliegen. Eretz. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sie war so auf die Beschaffung der Gavriels konzentriert gewesen, dass sie gar nicht konkret darüber nachgedacht hatte, was sie dort erwarten würde, und jetzt, nach Akivas Beschreibung seiner Welt, düster und vom Krieg zerrüttet, bekam sie richtig Angst und wollte nirgendwo mehr hingehen.
Was sollte sie überhaupt machen, wenn sie dort war? An das Gitter der Festung fliegen und höflich fragen, ob Brimstone zu Hause war?
»Apropos Feinde«, sagte Zuzana, »der Blödmann war heute Morgen im Fernsehen.«
»Schön für ihn«, meinte Karou, noch in ihre eigenen Gedanken versunken.
»Nein. Nicht schön.
Böse.
Böser Blödmann.«
»O nein. Was hat er gemacht?«
»Na ja, während du dir mit deinem Feind den Sonnenaufgang angeguckt hast, waren alle Nachrichtensender hinter deiner Geschichte her, und ein ganz bestimmter Schauspieler hat ihnen nur zu gerne geholfen. Er hat sich vor der Kamera als dein Freund aufgespielt und der Welt alles über dich erzählt. Zum Beispiel auch von deinen Schusswunden. Er hat dich als eine Art Gangsterbraut hingestellt.«
»
Gangsterbraut?
Also bitte. Wenn, dann bin ich der Gangster …«
»Jedenfalls«, fiel Zuzana ihr ins Wort. »Es tut mir wirklich leid, aber du bist jetzt das ›Mädchen mit den blauen Haaren‹ und mit deiner Anonymität ist es vorbei. Die Polizei steht wahrscheinlich schon vor deiner Wohnungstür …«
»Was?«
»Ja, euer Kampf gestern wird als ›Ruhestörung‹ eingestuft, deshalb möchte die Polizei gern mit den beteiligten, äh,
Leuten
reden, und man ist dankbar für sachdienliche Hinweise über ihren Aufenthaltsort.«
Akiva hatte Karous erschütterten Gesichtsausdruck gesehen und fragte, worüber sie redeten. Als Karou es für ihn übersetzt hatte, verfinsterte sich sein Gesicht. Er stand auf, ging zur Tür und spähte hinaus. »Werden sie dir hierher folgen?«, wollte er wissen. Karou sah den Beschützerinstinkt in seiner angespannten Haltung, und ihr wurde klar, dass eine solche Situation in seiner Welt wahrscheinlich viel gefährlicher war.
»Es ist schon in Ordnung«, versicherte sie ihm. »Sie würden mir nichts antun, sondern nur Fragen stellen. Wirklich.« Aber er bewegte sich nicht von der Tür weg. »Wir haben kein Gesetz gebrochen.« Karou wechselte wieder ins Tschechische. »Es gibt doch kein Gesetz, das einem verbietet zu fliegen«, sagte sie zu Zuzana.
»Doch, gibt es. Das Gesetz der
Schwerkraft
. Jedenfalls wirst du gesucht.« Nach einer kurzen Pause fügte Zuzana mit einem vielsagenden Blick auf die Kellnerin, die sich in ihrer Nähe herumdrückte und ganz sicher lauschte, hinzu: »Stimmt doch, oder nicht?«
Die junge Frau errötete. »Ich habe niemanden angerufen«, versicherte sie hastig. »Ihr könnt gerne hierbleiben. Wollt … wollt ihr noch Tee?«
Zuzana winkte ab und sagte zu Karou: »Du kannst dich hier nicht ewig verstecken.«
»Nein.«
»Also, was ist der Plan?«
Der Plan? Karou hatte einen Plan, sie musste ihn nur noch in die Tat umsetzen. Sie musste nur gehen. Ihr Leben hinter sich lassen, ihr Studium, ihre Wohnung, Zuzana, Akiva … Nein, Akiva gehörte
nicht
zu ihrem Leben. Karou sah ihn an, wie er wachsam in der Tür stand, bereit, sie zu verteidigen, und stellte sich vor, ihn aufzugeben, diese Wahrheit, diesen Flecken Sonnenlicht, diese unglaubliche Anziehung – all das, was sich so richtig anfühlte. Sie musste nur aufstehen und gehen.
Einen Moment herrschte Schweigen, während Karou versuchte, ihren Körper dazu zu bringen, sich in Bewegung zu setzen. Er regte sich nicht.
»Der Plan«, sagte sie schließlich mit einer unglaublichen Willensanstrengung. »Der Plan ist, wegzugehen.«
Erst als Akiva sich abrupt zu ihr umdrehte, wurde ihr bewusst, dass sie die Sprache der Chimären benutzt und ihre Worte an ihn gerichtet hatte.
»Weg? Wohin?«
»Nach Eretz«,
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