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DavBen-StaderDie

Titel: DavBen-StaderDie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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sahen Kolja unverwandt an, die Augen in den ausgemergelten Gesichtern ein bisschen glänzender. Sie waren alle ein bisschen verliebt in ihn.
    »Entschuldige, dass ich das frage, Genosse«, sagte Pawel, wobei er dem Wort Genosse einen ironischen Beiklang gab. »Aber wenn du so ein wichtiger Mann in der Armee bist und an so entscheidenden Gesprächen teilnimmst, wieso sitzt du dann hier bei uns?«
    »Ich habe Befehl, nicht darüber zu reden«, sagte Kolja, gelassen den beleidigenden Ton des Chirurgen überhörend. Er trank einen Schluck Tee und behielt das warme Getränk einen Moment lang im Mund. Er bemerkte, dass Sonja ihn noch im mer ansah, und lächelte ihr zu. Die Gruppe schwieg. Niemand hatte sich bewegt, doch die Dynamik hatte sich verlagert, nun standen Kolja und Sonja im Rampenlicht und wir Übrigen waren stumme Zuschauer, die sich fragten, ob sie die Hüllen fallen lassen würden. Das Vorspiel hatte bereits begonnen, obwohl die beiden nicht nebeneinandersaßen, obwohl beide in mehrere wärmende Schichten eingemummt waren. Ich wünschte mir, dass mich eines Tages ein Mädchen so anschauen würde, aber ich wusste, dass das nie passieren würde. Nicht bei diesem schmalbrüstigen Körper, diesen Augen, wachsam und ängstlich wie die eines Nagetiers - ich war nicht der Typ, der sinnliche Begierde erweckte. Das Schlimmste von allem war meine Nase, meine verhasste Nase, dieser Zinken der tausend Beleidigungen. Es war schon schlimm genug, in Russland Jude zu sein, aber ein Jude mit einer Nase aus einer antisemitischen Karikatur zu sein, tja, das erweckte jede Menge Selbsthass. Meistens war ich stolz darauf, Jude zu sein, ich wollte bloß nicht jüdisch aussehen. Ich wollte arisch aussehen, blonde Haare und blaue Augen haben, breite Schultern und ein markantes Kinn. Ich wollte so aussehen wie Kolja.
    Kolja zwinkerte Sonja zu und trank seinen Tee aus. Er starrte seufzend auf den Bodensatz in seinem Glas.
    »Wisst ihr eigentlich, dass ich seit neun Tagen nicht mehr geschissen habe?«
    In dieser Nacht schliefen wir alle im Wohnzimmer, außer Kolja und Sonja, die auf ein unsichtbares Signal hin gleich zeitig aufstanden und ins Schlafzimmer verschwanden. Wir Übrigen teilten uns die Wolldecken. Wir legten uns dicht nebeneinander, um es warm zu haben , sodass ich, obwohl der Ofen im Laufe der Nacht irgendwann ausging, nicht allzu sehr zitterte. Tatsächlich machte mir die Kälte weniger zu schaffen als Sonjas gedämpfte spitze Schreie. Sie klangen so unglaublich glücklich, als würde Kolja das ganze Elend der letzten sechs Monate wegvögeln, den Hunger und die Kälte und die Bomben und die Deutschen einfach wegvögeln. Sonja war lieb und nett, aber ihre Lust war furchtbar mitanzuhören - ich wollte derjenige sein, der ein hübsches Mädchen mit seinem Schwanz aus der Belagerung entführte. Stattdessen lag ich in einer fremden Wohnung auf dem Boden und hatte einen Mann neben mir, den ich nicht kannte, der im Schlaf zuckte und wie gekochter Kohl roch.
    Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Sex sehr lange dauerte - wer hatte denn noch Energie für so etwas? -, aber mir schien er die halbe Nacht weiterzugehen, Sonjas spitze Schreie, Koljas leise Worte, die ich durch die dünnen Wände nicht verstehen konnte. Er klang sehr ruhig, als würde er ihr aus der Zeitung vorlesen. Ich hätte zu gerne gewusst, was zum Teufel er ihr da erzählte. Was sagt man zu einer Frau, die man gerade vögelt? Es schien mir sehr wichtig zu sein, das zu wissen. Vielleicht zitierte er diesen Schriftsteller, von dem er dauernd schwärmte. Vielleicht erzählte er ihr von dem Kampf mit dem Kannibalen und der Frau des Kannibalen, aber das war ziemlich unwahrscheinlich. Ich lag im Dunkeln und hörte den beiden zu, während der Wind an den Fensterrahmen rüttelte und im Ofen die letzten Funken sprühten. Zu hören, wie sich andere lieben, ist das einsamste Geräusch auf der Welt.
    8
    Am nächsten Morgen standen wir zwei Blocks vom Narwa-Tor entfernt vor einem Wohngebäude und blickten hinauf zu einem riesigen Bild von Schdanow.
    »Das muss es sein«, sagte Kolja, mit den Füßen stampfend, um sie warm zu halten - obwohl es schier unmöglich schien, war es noch kälter als am Tag zuvor. Nur eine einzelne, einem Fischskelett ähnelnde Wolke unterbrach das endlose Blau des Himmels. Wir gingen zur Haustür des Gebäudes. Sie war natürlich abgeschlossen. Kolja klopfte laut, doch niemand kam. Wir standen da wie Idioten, schlugen die behandschuhten Hände

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