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DavBen-StaderDie

Titel: DavBen-StaderDie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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Parteifunktionäre und Juden machen in der Heimat dunkle Geschäfte, während du an der Front dein Leben für diese Kriminalen opferst. >Diese Kriminalen< ist besonders apart. Da besetzen sie das halbe Land und sind nicht in der Lage, jemand aufzutreiben, der die Landessprache spricht? Den Grund dafür wirst du bald verstehen, darum behalte diesen Zehn-Rubel-Schein. Er garantiert dir nach dem Krieg die sichere Rückkehr in ein freies Ruusland.«
    Kolja sah mich grinsend an. »Machst du etwa dunkle Geschäfte, Lew Abramowitsch?«
    »Schön wär's.«
    »Glauben die wirklich, dass sie uns mit so was umdrehen können? Kapieren die das denn nicht? Wir haben doch die Propaganda erfunden! Auf die Tour erreichen sie gar nichts; damit verärgern sie nur die Menschen, die sie bekehren wollen. Ein junger Mann denkt, er hat einen Zehn-Rubel-Schein gefunden, er freut sich, vielleicht kann er sich eine zusätzliche Scheibe Wurst kaufen. Doch nein, das ist kein Geldschein, das ist eine mit orthografischen Fehlern gespickte Kapitulationserklärung.«
    Er spießte das Stück Papier an einem Ast auf und zündete es mit seinem Feuerzeug an.
    »Du verbrennst deine Chance, nach dem Krieg in ein freies Ruusland zurückzukehren«, warnte ich ihn.
    Kolja sah lächelnd zu, wie das Papier schwarz wurde und sich kräuselte. »Komm jetzt. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.«
    Nachdem wir eine weitere Stunde durch den Schnee gestapft waren, tippte mir Kolja mit dem behandschuhten Finger auf die Schulter.
    »Glauben Juden an ein Leben nach dem Tod?«
    Am Tag davor hätte mich diese Frage geärgert, doch nun musste ich schmunzeln, weil es typisch Kolja war, aus echter Wissbegier und aus heiterem Himmel zu fragen.
    »Das kommt auf den Juden an. Mein Vater war Atheist.«
    »Und deine Mutter?«
    »Meine Mutter ist keine Jüdin.«
    »Dann bist du also ein Mischling. Ist doch keine Schande. Ich war schon immer überzeugt, dass ich von irgendwoher Zigeunerblut in mir habe.«
    Ich sah zu ihm hoch, betrachtete die Augen, so blau wie die eines Schlittenhundes, die vereinzelten blonden Haare, die unter der schwarzen Pelzmütze hervorlugten.
    »Du hast kein Zigeunerblut in den Adern.«
    »Wegen meiner Augen? Es gibt viele blauäugige Zigeuner auf der Welt, mein Freund. Wie dem auch sei, das Neue Testament ist da ganz kategorisch. Wenn du Jesus folgst, kommst du in den Himmel; wenn nicht, geht's ab in die Hölle. Aber im Alten Testament ... Gibt es im Alten Testament eigentlich eine Hölle?«
    »Scheol.«
    »Was?«
    »Die Unterwelt heißt dort Scheol. Eines der Gedichte meines Vat ers heißt >Die Gitter von Scheol< .«
    Es war sehr merkwürdig, offen über meinen Vater und sein Werk zu sprechen. Schon die Worte selbst erschienen mir gefährlich, als würde ich ein Verbrechen gestehen und die Behörden könnten es hören. Selbst hier, wo das Politbüro keine Macht besaß, hatte ich Angst, erwischt zu werden, Angst vor Spionen, die in den Lärchen lauerten. Wenn meine Mutter da gewesen wäre, hätte sie mich mit einem Blick zum Schweigen gebracht. Doch es tat gut, über ihn zu reden. Es machte mich glücklich, dass man über Gedichte im Präsens spricht, selbst wenn ihr Verfasser der Vergangenheit angehört.
    »Und was passiert in Scheol? Muss man da für seine Sünden büßen?«
    »Ich glaube nicht. Jeder kommt dorthin, die Guten wie die Bösen. Es ist nur ein dunkler und kalter Ort, wo nichts weiter von uns übrig bleibt als unsere Schatten.«
    »So wird's wohl sein.« Er hob eine Handvoll sauberen Schnee auf, nahm einen Bissen davon in den Mund und ließ ihn zergehen. »Vor einigen Wochen habe ich einen Soldaten gesehen, der keine Augenlider hatte. Er war Panzerkommandant, sein Panzer hat irgendwo im Getümmel den Geist aufgegeben, und bis die Besatzung gefunden wurde, hatte die Kälte alle anderen umgebracht, und er hatte am halben Körper Erfrierungen. Hat ein paar Zehen und Finger verloren, ein Stück von seiner Nase, seine Augenlider. Ich habe ihn im Lazarett schlafen sehen, ich dachte, er sei tot, seine Augen standen ja weit offen ... Ich weiß nicht, ob man Augen >offen< nennen kann, wenn sie sich überhaupt nicht schließen lassen. Muss man ohne Augenlider nicht den Verstand verlieren? Wenn man sein Leben lang nie mehr die Augen schließen kann? Da wäre ich lieber blind.«
    Ich hatte Kolja noch nie trübsinnig erlebt; sein plötzlicher Stimmungsumschwung beunruhigte mich. Dann hörten wir beide gleichzeitig das Heulen; wir drehten uns um und

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