DavBen-StaderDie
Pfoten Schneefahnen aufwirbeln, mit leuchtenden Augen und glücklich auf ihr erstes Futter seit Wochen zustürmen.
»Gib mir dein Messer«, sagte Kolja.
»Sei bloß vorsichtig.« »Gib schon her.«
Ich zog das deutsche Messer aus der Scheide und reichte es ihm. Der Schäferhund versuchte noch immer, seinen ausgeweideten Körper zum Wald zu schleppen, doch seine Vorderbeine hatten kaum noch Kraft. Als er Kolja näher kommen sah, gab er schließlich auf, als hätte er beschlossen, dass es nun genug sei. Er blieb im blutgetränkten Schnee liegen und sah mit müden braunen Augen zu Kolja hoch. Aus dem Kasten auf seinem Rücken ragte senkrecht der Holzstab empor wie der Mast eines Segelboots. Der Stab wirkte so zierlich, nicht dicker als ein Trommelstock.
»Bist ein braver Bursche«, sagte Kolja, kniete neben dem Schäferhund nieder und hielt mit der linken Hand den Kopf des Hundes hinten fest. »Bist wirklich ein braver Bursche.«
Mit einer einzigen schnellen Bewegung schnitt Kolja dem Hund die Kehle durch. Der Hund erschauerte, als das Blut aus ihm herausschoss, das in der kalten Luft dampfte. Kolja legte den Kopf des Tieres sanft auf den Boden, wo der Hund noch ein paar Sekunden zuckte, ausschlug wie ein Welpe im Traum, und dann war er tot.
Wir schwiegen einen Moment, zollten dem gefallenen Hund unseren Respekt. Kolja wischte beide Seiten der blutigen Klinge im Schnee ab, rieb sie am Ärmel seines Mantels trocken und gab mir das Messer zurück.
13
Wir gingen im Schnellschritt durch den Birkenwald, die Bahngleise zu unserer Linken, während die Sonne schnell tiefer sank. Kolja hatte seit dem Feld mit den toten Hunden nichts gesagt. Ich merkte, dass ihm die vorrückende Zeit Sorgen bereitete; er hatte unser Tempo falsch eingeschätzt, nicht bedacht, wie langsam wir auf schneebedecktem Gelände vorankamen, und unser Umweg hatte alle Hoffnungen zunichtegemacht, Mga vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. Die Kälte stellte nun eine größere Gefahr dar als die Deutschen, und die Temperatur fiel bereits rapide. Ohne Obdach würden wir sterben.
Wir hatten keine Menschenseele mehr gesehen, seit wir uns von dem tatarischen Feldwebel verabschiedet hatten, und wir machten einen großen Bogen um die stillgelegten Bahnhöfe von Kolonija Janino und Dubrowka. Selbst aus zweihundert Metern Entfernung konnten wir die umgestürzte Lenin-Statue vor dem Bahnhof von Dubrowka sehen, die deutschen Sätze lesen, die mit schwarzer Farbe auf eine Betonwand gemalt waren: STALIN IST TOT! RUSSLAND IST TOT! IHR SEID TOT!
Um drei Uhr nachmittags verschwand die Sonne hinter den Hügeln im Westen, und die schweren grauen Wolken über uns flammten orangefarben auf. Ich hörte das summende Geräusch von Flugzeugmotoren, und als ich aufblickte, sah ich vier Messerschmitts auf Leningrad zufliegen, so hoch über uns, dass sie wie harmlose Stechmücken wirkten. Ich fragte mich, welche Gebäude sie zerstören würden oder ob sie von unseren Jungs auf dem Boden oder unseren Piloten in der Luft abgeschossen würden. Das Ganze erschien mir völlig abstrakt, der Krieg eines anderen. Denn egal, wo sie ihre Bomben abwarfen, auf mich würden sie nicht fallen. Als mir bewusst wurde, was ich da dachte, wurde ich von Schuld gefühlen übermannt. Was war ich doch für ein egoistisches Arschloch geworden.
Wir kamen an Beresowka vorbei, ein Name, den ich im September zum ersten Mal gehört hatte, als die Rote Armee und die Wehrmacht außerhalb des Dorfes aufeinandertrafen. Den Zeitungen zufolge kämpften unsere Jungs heldenmütig und taktisch brillant, überlisteten die deutschen Kommandeure und konsternierten selbst Hitler, der jede Entwicklung von seinem Hauptquartier in Berlin aus verfolgte. Aber jeder in Leningrad verstand sich darauf, zwischen den Zeilen zu lesen. In den Zeitungsberichten waren die russischen Truppen immer »ruhig und entschlossen«, die Deutschen waren immer »wie gelähmt angesichts der Heftigkeit unseres Widerstandes« - Phrasen dieser Art waren obliga torisch. Die entscheidende Information fand sich erst am Ende des Artikels, geschickt im letzten Absatz versteckt. Wenn sich unsere Männer »zurückzogen, um unsere Kampfkraft in Reserve zu halten«, hatten wir die Schlacht verloren; wenn sich die Truppe » freudig opferte, um die feindli chen Eindringlinge zurückzuwerfen«, waren wir massakriert worden.
Beresowka war ein Massaker. Den Zeitungen zufolge war der Ort berühmt wegen seiner Kirche, die auf persönlichen Befehl Peters
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