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DavBen-StaderDie

Titel: DavBen-StaderDie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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außer einem Langweiler gab schon derartige Belanglosigkeiten von sich? Wenn ein hochintelligentes Schwein, das Wunderkind des Scheunenhofs, sein ganzes Leben damit verbracht hätte, Russisch zu lernen, und, nachdem es die Sprache endlich perfekt beherrschte, als Erstes hören würde, was ich da verzapfte, dann müsste es sich doch fragen, warum es seine besten Jahre verschwendet hatte, wenn es sich im Schlamm hätte suhlen und mit seinen stummen Artgenossen aus dem Trog hätte schlabbern können.
    »Du hast Astronomie studiert?« »Ja.«
    »Das ist gut, ich habe nämlich eine Frage. Es gibt doch Milliarden von Sternen im Universum, richtig? Wir sind ringsum von Sternen umgeben. Und alle strahlen Licht aus, und das Licht pflanzt sich immer und ewig fort. Warum ist dann ...«
    »... der Himmel nachts nicht hell?«
    »Genau! Du hast also auch schon darüber nachgedacht?«
    »Darüber denken die Menschen schon sehr lange nach.«
    »Ach. Ich dachte, ich sei vielleicht der Erste.«
    »Nein«, sagte sie, und anhand der Art, wie sie es sagte, wusste ich, dass sie lächelte.
    »Und warum ist es dann nachts nicht dunkel?«
    »Weil sich das Universum ausdehnt.«
    »Wirklich?«
    »Ja.«
    »Nein, ich meine, ich weiß, dass sich das Universum ausdehnt.« Das war gelogen. Wie konnte sich das Universum ausdehnen? Wo das Universum doch alles war? Wie kann sich alles noch mehr ausbreiten? Und wohin breitet es sich aus? »Ich verstehe nur nicht, wie das das Sternenlicht erklärt.«
    »Das ist kompliziert«, sagte sie. »Mach den Mund auf.«
    »Was?«
    »Psst! Mach den Mund auf.«
    Ich tat, wie mir befohlen, und sie schob mir einen Bissen Roggenbrot zwischen die Lippen. Im Gegensatz zu den Laiben, die wir in Piter auf Marken bekamen und an denen man sich die Zähne abbrach, schmeckte das hier wie richtiges Brot, wie Kümmel und Hefe und abgekochte Milch.
    »Gut?«
    »Ja.«
    Häppchen für Häppchen fütterte sie mich mit einer ganzen Scheibe Brot. Als sie fertig war, leckte ich mir die Lippen ab und wartete auf mehr, obwohl ich wusste, dass nichts mehr kam.
    »Das war's. Den Rest muss ich für morgen aufheben. Dein Freund wird Hunger haben.«
    »Danke.«
    Sie grunzte zur Antwort und rutschte hin und her, um eine bequemere Stellung zu finden. »Er heißt Kolja. Nur damit du es weißt. Und ich bin Lew.«
    Sie schien nur auf jede zweite Äußerung von mir zu reagieren, und das war keine davon. Ich hatte gehofft, sie würde sagen: »Ich heiße Vika«, um darauf erwidern zu können: »Ja, ich weiß. Kurz für Viktorija, stimmt's?« Aus irgendeinem Grund hielt ich das für eine clevere Bemerkung, obwohl jede Vika eine Viktorija ist.
    Ich horchte auf ihre Atemzüge, versuchte herauszufinden, ob sie eingeschlafen war oder nicht. Ich machte die Probe aufs Exempel, indem ich eine letzte Frage wisperte.
    »Wenn du Astronomie studiert hast, dann verstehe ich nicht, wieso ... Wie bist du Scharfschützin geworden?«
    »Ich habe angefangen, Leute zu erschießen.«
    Das klang in meinen Ohren, als wäre das Gespräch damit beendet, und so hielt ich den Mund und ließ sie schlafen.
    Später in der Nacht wachte ich auf, als einer der alten Bauern auf der anderen Seite des Schuppens einen Hustenanfall hatte. Während ich zuhörte, wie er stoßweise Schleim abhustete, der sich vermutlich seit der Regierungszeit Alexan ders III. in seiner Lunge befand, merkte ich, dass sich Vika im Schlaf an mich gelehnt hatte, die Wange an meiner Schulter. Ich spürte, wie sich ihr Brustkorb hob und senkte, hörte den hellen Ton beim Einatmen, den dunklen Ton beim Ausatmen. Für den Rest der Nacht blieb ich so still wie möglich sitzen, um sie nur ja nicht zu stören, um sie weiterhin ganz nah bei mir zu haben.
    22
    Wir wachten auf, als die Deutschen die Bretter aufstemmten, mit denen sie die Türöffnung vernagelt hatten. Sonnenlicht fiel durch die Ritzen in den Wänden, helle Strahlen beschienen eine fettige Stirn, einen Lederstiefel, dessen Sohle sich vorn abgelöst hatte, die Hornknöpfe am Mantel eines alten Mannes.
    Vika saß neben mir und kaute an den Fingernägeln. Sie kaute methodisch, nicht aus Nervosität wie ein aufgeregter Mensch, sondern wie ein Fleischer, der seine Messer wetzt. Während der Nacht hatte sie sich irgendwann von mir wegbewegt, und ich hatte es nicht gemerkt. Sie blickte auf, als sie spürte, dass ich sie beobachtete, und in ihren Augen lag keine Andeutung von Sympathie. Der Hauch von Intimität, den ich in der Dunkelheit gespürt hatte, war

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