Dave Duncan
nicht gesagt.
Sie hatte überhaupt nicht gewagt, diese Angelegenheit anzuschneiden, weder bei Andor noch bei Tante Kade. Beide hielten sich in ihren Unterhaltungen nur an Banalitäten. Diese allgemeine Diskretion wurde zum Teil durch die Angst hervorgerufen, belauscht zu werden, denn der Kutscher und die Lakaien gehörten zu Yggingis Männern, und sie hatten ihre Ohren regelrecht an die Fenster gedrückt. Zum anderen quälte Inos jedoch die schreckliche Gewißheit, daß sie betrogen worden war.
Irgendwie hatte die imperiale Regierung vom schlechten Gesundheitszustand ihres Vaters erfahren und beschlossen, Krasnegar einzunehmen, bevor es die Thans von Nordland taten. Nur Hub selbst konnte diese Truppen mobilisiert haben. Das bedeutete Zeit – Zeit für Berichte und Befehle, die hin und her gingen, Zeit für Beratungen und Entscheidungen.
Doch woher hatten die imperialen Führer davon gewußt? Andor mußte auf seinem Weg nach Süden durch Pondague gekommen sein. Er könnte den verhaßten Yggingi alarmiert haben. Yggingi könnte sich dann nach Kinvale aufgemacht haben, während Andor einem älteren Beamten Bericht erstattete, und dann loszog, um Inos zu informieren.
Bei hellem Tageslicht erschien ihr eine solche Vorstellung ziemlich absurd. Ein Blick in Andor s ehrliches Gesicht, ein Lächeln aus seinen ruhigen Augen, und all ihre Zweifel schmolzen dahin wie Butter an der Sonne. Doch in den langen Stunden der Nacht, wenn sie sich in fremden Betten feuchter, stinkiger Gasthäuser hin-und herwarf, wurden sie alle nur zu real. Inos hatte sich Geschichten ausgedacht, in denen Andor ein Spion des Imperiums war. Sie hatte sich selbst zu Tode geängstigt mit Zweifeln über seine Herkunft, seine Eltern, seine Kindheit. Sie wußte so wenig darüber, und alles schien so wichtig, wenn sie allein war… doch wenn sie zusammen waren, kam ihr alles so banal vor. Darum kam sie irgendwie nie darauf zu sprechen, obwohl sie es sich immer wieder vornahm. Wenn er bei ihr war, konnte sie der Zukunft mutig ins Auge sehen
– sie würde sich dem gesamten Impire entgegenstellen, falls es nötig wäre, und den Jotnar ebenfalls! Ohne ihn fühlte sie sich wie ein Kind, das sich verlaufen hatte.
Da waren nur Andor… und Kade. Aber irgend jemand hatte Inos betrogen.
Es war ihre Tante gewesen, die entschieden hatte, die Reise nach Norden anzutreten – ein plötzliches und sehr unwahrscheinliches Unterfangen für eine Frau in ihrem Alter. Kade hatte zumindest befürchtet, daß Holindarns Gesundheit nachlassen könnte, bevor sie Krasnegar verließ. Sie würde sicher einen Anspruch des Imperiums gegenüber Nordland verfechten. Daß Prinzessin Kadolan ihren Bruder und ihre Nichte verraten würde, war kaum zu glauben… und doch schien es ihr nicht weniger zweifelhaft, als Andor zu mißtrauen. Einer der beiden mußte ein Verräter sein, und Inos wußte nicht, wer.
Sie fühlte sich sehr klein, allein und verletzbar, wie ein gejagtes Tier, das nach Hause zu seinem Versteck floh, den gefährlichen Räuber dicht auf den Fersen. Es gab keinen Ort, wohin sie gehen konnte, und doch wäre ihr Versteck keine sichere Zuflucht, denn das Ungeheuer würde ihr dorthin folgen.
Offensichtlich war sie auf dem Weg nach Krasnegar, ob sie wollte oder nicht. Wenn sie jetzt versuchte, sich zu sträuben, würden die fünfhundert Mann ihrer Ehreneskorte sofort zu einer bewaffneten Wache und sie zu einer Gefangenen. Yggingi hatte das bereits durchblicken lassen. Offiziell reiste sie unter seinem Schutz nach Hause, aber tatsächlich war sie nur eine Gefangene. Der verhaßte Mann hatte ihr seine Pläne nicht offenbart, doch man konnte sich leicht vorstellen, daß er sie dazu zwingen müßte, das Königreich dem Imperator zu überschreiben, wenn ihr Vater starb. Sie konnte nur hoffen, daß ihr Vater noch lebte und daß es ihm noch gut genug ging, ihr einen Rat zu geben. Sie konnte jetzt niemandem mehr vertrauen.
So war Inos also von Angst erfüllt, während sie höfliche Konversation über die Landschaft machte.
Andor erschien wieder an der Tür zur Kutsche. »Ich fürchte, Ihr werdet aussteigen müssen, meine Damen. Wieder eine gebrochene Achse.
Er reichte Tante Kade seine Hand zum Aussteigen, danach half er Inos. Der Weg war ein schmaler Pfad aus Matsch, Wurzeln und Steinen, der sich in beiden Richtungen um einen Hügel schlängelte. Regen tropfte von einem Dach aus schweren Ästen auf sie herunter, das nur wenig Licht vom grauen Himmel durchließ, und an beiden
Weitere Kostenlose Bücher