Dave Duncan
griff wieder nach der Bremse.
»Rap!« fragte Lin. »Woher wußtest du das?«
Rap zögerte. Woher hatte er es gewußt? Sein eigenes Gespann hatte viel zu viel Lärm gemacht, so daß er nichts hatte hören können. Konnten die Pferde etwas gehört und ihm mit ihren Ohren ein Signal gegeben haben, ein Signal, das er gesehen hatte, ohne zu wissen? Nicht sehr wahrscheinlich. Könnte er eine Reflexion in einem Fenster gesehen haben? Die Sonne spiegelte sich in den Fenstern, also war auch das nicht sehr wahrscheinlich. Aber er hatte es gewußt. Er war ziemlich sicher gewesen, daß ein Wagen um die Ecke kommen würde. Es war ein ziemlich unheimliches Gefühl. Woher hatte er es gewußt?
»Das gehört einfach zu den Dingen, die ihr jungen Burschen noch lernen müßt«, antwortete er. »Halt mal Ausschau für mich.«
Lin machte eine zotige Bemerkung. Er betrachtete Rap einen Augenblick lang sehr verwirrt, bevor er vom Wagen sprang und auf die Ecke zulief.
Sie verloren Zeit. Lin war mit nur einem gesunden Arm sehr unbeholfen, und Rap mußte jedesmal anhalten, wenn er auf den Wagen steigen wollte, und dann wieder anhalten, um ihn vor der nächsten Haarnadelkurve hinunterzulassen. Schließlich trafen sie zwischen der zwölften und dreizehnten Kurve auf den zweiten Wagen, und dann rasten sie eilig zum Hafen weiter.
An jenem Tag lagen nur wenige Schiffe vor Anker. Die Sonne spiegelte sich gleißend auf der Wasseroberfläche, die Möwen schnellten hin und her, und die Luft war gesättigt vom scharfen Geruch nach Fisch und Seetang. Eine leichte Brise kräuselte die Oberfläche, aber es gab keine Wellen. Besorgt beäugte Rap den vor ihm liegenden Damm.
»Zu spät!« seufzte Lin.
»Nicht viel Dünung«, antwortete Rap stur. »Ich riskiere es.«
Er stand auf und ließ die Zügel auf die Rücken der Pferde klatschen und zwang sie zu einem leichten Galopp; dabei fragte er sich, ob Lin verlangen würde, daß er ihn vom Wagen steigen ließ. Mit dem Gips am Arm würde er nicht schwimmen können, aber Lin konnte vermutlich ohnehin nicht schwimmen. Es hatte auch keinen Zweck, es zu lernen – im Wintermeer würde ein Mann innerhalb weniger Minuten erfrieren.
Dann fiel Rap ein, daß auch er nicht schwimmen konnte.
Lin sagte nichts. Der Wagen gewann an Geschwindigkeit, als er über den Kai auf den lang geschwungenen Damm zuhielt, der zum gegenüberliegenden Ufer führte. Der größte Teil führte über Land – niedrige Inseln und Felsen, trockenes Land, außer in den großen Winterstürmen – aber es gab vier niedrige Stellen, und die Flut leckte schon an dreien von ihnen. Der Wagen rumpelte und rollte und verjagte die kreischenden Seevögel; dann war an beiden Seiten des Dammes Wasser, und Big Damp, die »große Feuchtigkeit«, tauchte vor ihnen auf.
Rap nahm sie bei voller Geschwindigkeit. Sie war gerade und seicht, und er spürte keine Unruhe bei seinen Pferden. Wasser schoß in silbernen Schwaden nach oben, und salzige Gischt spritzte in sein Gesicht, und dann waren sie sicher auf der anderen Seite, auf Duck Island. Dennoch war es tiefer gewesen, als er erwartet hatte.
Lin, der saß und trotzdem zu Rap hinaufsehen mußte, war klatschnaß. Er pfiff und lachte dann ein wenig nervös.
»Ich hoffe, das neue Rad bleibt dran«, bemerkte er.
Little Damp, die »kleine Feuchtigkeit«, war noch trocken, abgesehen von einigen Pfützen, wo kleine Wellen langsam herüberschwappten. Jetzt überquerten sie Big Island, und Rap verlangsamte den Schritt, um die Pferde nicht zu überanstrengen, doch blieb er auf der Straße.
Die Felsen und der grobe Kies am Rande der Straße machten dem harten, sturen Gras Platz, das die Herausforderung genoß, so nahe am Meer zu wachsen, und einen Augenblick lang verschwand das Wasser außer Sichtweite. Dann rollte der Wagen holpernd über die Höhe und schoß steil nach unten. Vor ihnen lag die Hauptstrecke des Dammes… allerdings war das meiste davon verschwunden.
Lin kreischte auf. »Rap!« und richtete sich auf.
Rap hatte nicht erwartet, daß die Kluft schon so breit sein würde. Die blaue Flut ergoß sich bereits darüber und glänzte wunderbar im Sonnenlicht. Er hatte das noch nie gesehen, außer vom Ufer aus. Der Wind blies jetzt stark und kalt, zerzauste die Mähnen der Pferde, aber die Wellen waren sehr klein. Der Weg vor ihnen führte ins Meer hinein und tauchte dann unter. Ganz weit zur Linken lag die andere Seite, die aus Tallow Rocks hervorsprang.
Es gab zwei Kurven in der
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