Dave Duncan
Häuser, wo das Leben noch härter war als in der Stadt. Doch meistens gab es für die Männer auf dem Land nichts mehr zu tun als zu überleben, und das Überleben war einfacher in der Stadt – oder der Tod war weniger einsam – also drängte sich die Landbevölkerung in den langen Wintern zu den Stadtbewohnern, wie Dachse unter der Erde. Wenn der Schnee im Frühling von den Bergen schmolz, begaben sie sich zurück zu ihrer Mühsal, und unter dem Himmel erklangen wieder Stimmen.
Ohne sorgfältige Planung wäre ihren Bemühungen niemals Erfolg beschieden, und die Führung hatte der König übernommen, oder besser gesagt sein Verwalter, ein großer und grobknochiger Jotunn namens Foronod, der gleichzeitig überall war und angeblich drei Pferde pro Tag verschliß. Seine wasserblauen Augen sahen alles, und er kommandierte alle mit messerscharfen, kurzen Sätzen herum. Niemals sprach er ein Wort zuviel oder verschwendete einen Augenblick, niemanden verschonte er, am wenigsten sich selbst. Im Hochsommer schien er noch weniger zu schlafen als die Sonne selbst. Seine schlaksige Silhouette konnte zu jeder Zeit überall im Königreich auftauchen, seine langen Beine hingen lahm an den Seiten seines Ponys herab, und sein silbernes Haar leuchtete warnend, bevor er noch in Sichtweite kam. Sein Gedächtnis verfügte über soviel Fassungsvermögen wie die Räume des Palastes. Er wußte bis aufs Gramm genau, wieviel Heu eingeholt, wieviel Torf gestochen worden war; er kannte den Zustand der Herden und die Gezeiten, und er konnte den Zorn der Götter oder der Mächte auf jeden herabbeschwören, den er beim Schlafen oder Bummeln erwischte. Er kannte die Stärken, Fähigkeiten und Schwächen eines jeden Mannes und jeder Frau, jedes Mädchens und jedes Jungen in seiner gesamten großen Mannschaft.
Foronod bemerkte, daß ein Wagen repariert und zurückgebracht worden war. Er bemerkte zweifellos genauso, daß ein gewisser Stalljunge zum Fahrer befördert worden war, und auch diese Tatsache würde er sich merken, bis er sie einmal benötigen würde. Doch der Verwalter hatte viele Fahrer, und dieser Junge hatte Talente, über die andere nicht verfügten.
Als die Nacht hereinbrach, war Rap wieder bei den Herden.
3
»Dreh dich mal um, mein Liebes«, sagte Tante Kade. »Bezaubernd! Ja, sehr hübsch! Absolut bezaubernd.«
Inos fühlte sich nicht bezaubernd, sie fühlte sich deprimiert. Ein schreckliches, hartes Gefühl hatte sich in ihrer Kehle breitgemacht, und eine dumpfe Kälte umfing sie. Ihre Arme und Beine waren wie aus Stein. Letzte Nacht hatte sie zum letzten Mal in ihrem eigenen Bett geschlafen. Vor einer Stunde hatte sie ihre letzte Mahlzeit im Schloß eingenommen – obwohl sie kaum fähig gewesen war, etwas zu essen. Alles, was sie jetzt tat, würde zum letzten Mal geschehen.
Und auch ihr bezauberndes Kleid konnte ihre schreckliche Stimmung nicht verbessern. Sie trug ihre kostbare goldene Drachenseide, und sie haßte sie. Irgendwie machte sie den Stoff dafür verantwortlich, daß dies alles angefangen hatte. Jetzt war ein Kleid aus ihm entstanden, und Inos fand es grotesk, nicht bezaubernd. Sie konnte nicht glauben, daß die Damen im Impire so etwas Ausgefallenes trugen. Der Spielmann hatte wohl phantasiert, als er solche Absurditäten wie Spitze, die über ihre Hände hing, und Schultern wie kleine Kissen gezeichnet hatte. Richtige Trompeten!
Und so schlimm das Kleid, so unglaublich war der Hut – eine kleinere Trompete, ein hoher goldener Kegel mit noch mehr Spitze überhäuft. Sie fühlte sich damit wie ein Freak, ein Clown. Jeder kleine Junge in Krasnegar würde sich bei ihrem Anblick krank lachen, wenn sie zum Hafen hinunterritt. Die Seeleute würden lachend vom Schiff fallen. Vielleicht würden sich die Damen im Impire totlachen. Inos war sicher, daß alle Hüte tragen würden, wie sie jede vernünftige Frau trug.
Der einzige Trost war, daß Tante Kade noch schlimmer aussah. Ihr kugelförmiger Hut stand wie ein Schlot auf ihrem Kopf, und ihre molligen Formen ähnelten niemals einer Trompete. Vielleicht einer Trommel oder sogar einer Laute, aber niemals einer Trompete. Sie hatte die Seide mit den Apfelblüten gewählt, die absolut nicht zu ihrer Figur paßte, obwohl Inos zugeben mußte, daß die Farben mit ihrem weißen Haar und ihren rosigen Wangen harmonierten. Tante Kade war zudem aufgeregt und sprühte über vor Glück und schwätzte in freudiger Erwartung wie ein ganzer Schwarm Vögel.
»Bezaubernd!«
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