Dave Duncan
keine Kutschen.
Kisten und Pakete und Schrankkoffer… Wie konnten sie so viele Gepäckstücke haben? Sie rochen nach Seife und Lavendel.
Ula zeigte auf zwei große Schrankkoffer, und Tante Kade begann, sie beide genau auf ihren Inhalt zu untersuchen. Inos machte sich nicht die Mühe zuzuhören. Sie betrachtete sich ein letztes Mal wütend im Spiegel und streckte ihrer albernen Erscheinung die Zunge heraus. Dann pirschte sie sich zur Tür. Sie würde ein letztes Mal durch das Schloß laufen und sich ganz privat von einigen ihrer Freunde verabschieden.
Die letzte hektische Woche war derart von Schneidern und Näherinnen in Anspruch genommen, daß sie kaum mit jemand anderem gesprochen hatte. Seit jenem umwerfenden Tag, als der Gott erschienen war, hatte sie sich in einem Wirbelsturm aus Seide und Satin, Spitze und Unterwäsche verloren. Sie hatte Lightning nicht geritten, nicht ein einziges Mal! Rap war am nächsten Morgen verschwunden. Der unheimliche Doktor Sagorn hatte ein paar Tage später ein kurzes Adieu gebrummelt und war auf dieselbe geheimnisvolle Weise verschwunden, wie er gekommen war. Und jetzt war Jalon in die Hügel geritten. Zum Winterfest würde er vermutlich immer noch irgendwo im Kreis herumirren, dachte sie – falls er nicht von einer Bande wilder Kobolde zu Tode gefoltert würde.
Bevor Inos jedoch die Tür erreichte, öffnete diese sich und ließ Mutter Unonini herein, die steif in ihrer schwarzen Robe steckte, und sie lächelte vor lauter Verantwortung und hielt eine Rolle mit Papieren umklammert, blieb stehen und sah Inos überrascht an; dann machte sie einen Knicks. Auf ihren denkbar kurzen Beinen wirkte die Bewegung unbeholfen, aber so etwas hatte sie nie zuvor getan. Plötzlich war Inos Mutter Unonini nicht mehr so feindlich gesonnen. Auch deren vertrautes Gesicht würde sie ein ganzes unendliches Jahr lang nicht mehr sehen.
Inos erwiderte den Knicks.
»Ihr seht bezaubernd aus, meine Liebe«, sagte die Kaplanin. »Dreht Euch um!«
Inos entschied, daß sie sicher wie eine Wetterfahne aussah, so wie alle von ihr verlangten, daß sie sich drehte. Sie drehte sich.
»Das sieht hübsch aus«, sagte Mutter Unonini herzlich.
Inos gab der Versuchung nach, die sie verspürte. »Es ist nur ein altes Tischtuch.«
Unonini runzelte die Stirn, dann lachte sie plötzlich, legte ihre Arme um Inos und drückte sie an sich… heute war es Knoblauch, nicht Fisch. »Wir werden Euch vermissen, meine Liebe!« Sie drehte sich eilig zu Tante Kade und machte erneut einen Knicks.
»Ich habe hier den Text des Gebetes, das Ihr lesen werdet, Eure Hoheit. Ich dachte, Ihr wollt es vorher vielleicht überfliegen; ein wenig üben.«
»Oh, meine Liebe!« Tante Kade war auf einmal ganz aufgeregt. »Ich hasse es, Gebete lesen zu müssen! Ich hoffe, Ihr habt groß geschrieben? Das Licht in der Kapelle ist so schlecht.«
»Ich glaube schon.« Die Kaplanin fummelte mit den Papieren herum. »Hier ist Eures. Ihr werdet den Gott der Reisenden anrufen. Corporal Oopari wird den Gott der Stürme anrufen. Der Kapitän des Schiffes wird sich natürlich um den Gott der Seeleute bemühen, und er hat seinen eigenen Text. Seine Majestät wird den Gott des Friedens anrufen… hat er sich ausgesucht«, fügte sie mißbilligend hinzu. »Das erscheint mir eigenartig.«
»Diplomatie, Mutter«, sagte Tante Kade. »Er macht sich Sorgen um die Beziehungen zwischen Krasnegar und dem Impire und so weiter.« Sie hielt das Manuskript auf Armeslänge von sich und zwinkerte mit den Augen.
»Kann der Corporal lesen?« fragte Inos. Oopari war ein angenehmer junger Mann. Er und seine Männer würden sie ohne Zweifel auf ihrer Reise gut beschützen, aber sie konnte sich nicht vorstellen, daß er las.
»Nein«, antwortete Mutter Unonini. »Aber er hat den Text einstudiert. Ihr, Inosolan, werdet zum Gott der Keuschheit sprechen, und –« »Nein!«
Inos war genauso überrascht wie die anderen. Es folgte entsetztes Schweigen, und die beiden Damen liefen rot an.
»Inos!« flüsterte Tante Kade. »Sicher –«
»O nein, natürlich nicht!« entgegnete Inos bestürzt. »Das wollte ich damit nicht sagen!« Sie war sich sicher, daß sie jetzt roter war als die beiden anderen. Sie sah die Kaplanin an. »Ich will mit dem Gott sprechen, der uns neulich erschienen ist. Sie suchen mich offensichtlich. Sind, nun, interessiert…«
Mutter Unonini preßte ihre Lippen zusammen. »Ja, ich stimme zu, das wäre angemessen, aber wir wissen
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