Dave Duncan
still! Hör zu – Grindrog hat über ein Jahr nicht mehr gekämpft! Er hat sogar Rathkrun herausgefordert. Rathkrun hat ihn für eine Woche außer Gefecht gesetzt.«
Rap schluckte, als würge er an einer Gräte.
»Aber«, fuhr Ogi triumphierend fort, »seitdem hat er keinen Streit mehr gesucht! Jetzt habe ich zufällig mitbekommen, wie er letztes Mal, als er am Hafen war, einen Köder an den Haken gehängt hat. Er hielt ihn hoch, mit links. Ganz nahe vor das Gesicht. Und er ist Rechtshänder!«
Rap kaute in nachdenklichem Schweigen.
»Rathkrun hat ihn ganz schön am Kopf getroffen! Rap, ich glaube nicht, daß er mehr als einen halben Meter weit sehen kann! Ich habe ihn beobachtet. Er stolpert über Dinge. Er sabbert beim Sprechen. Und wenn du ihn heute abend genügend reizt, wird er im Dunkeln kämpfen.«
»Das ist Betrug!«
Absurd! Wenn der Junge so dachte, war er nicht alt genug, alleine auf die Straße zu gehen, besonders nicht in einer Jotunngemeinde – und doch hatte Ogi diesen Einwand beinahe erwartet.
»Das ist auch ein Grund, warum wir dir eine Falle gestellt haben. Du mußt hinuntergehen und ihn so wild machen, daß er versucht, im Dunkeln gegen einen Seher zu kämpfen. Wenn er wie ein typischer Jotunn in Wut gerät, dann hast du ihn.«
»Oder anders herum«, sagte Rap ruhig und kaute und sah gleichmütig Ogi an – der diesen gelassenen Blick langsam nervtötend fand. »Du hast jetzt diese Schultern, Rap. Du kannst es schaffen.«
»Es wird nicht funktionieren. Nicht auf Dauer. Alle wissen, daß ich die Sehergabe habe, wenn ich also gewinne, werde ich schon bald aus Rache zu einem Kampf bei Tageslicht herausgefordert, und du versuchst, ein Maultier gegen Hunderte reiner Jotunn aufzustellen… Aber ich nehme an, das wichtigste ist, die Sache heute abend zu überleben, oder?«
Damit hatte er schon recht, das Morgen konnte warten. »Richtig. Mach ihn einfach so wild, daß er es nicht abwarten kann, es mit dir aufzunehmen.«
»Wenn ich sagen würde, Wulli hätte mir erzählt, er hätte es nicht ein einziges Mal mit ihr machen können… das würde doch reichen, oder?«
Bei dem Gedanken daran, was diese Anschuldigung bei einem betrunkenen Jotunn bewirken würde, brach Ogi der Schweiß aus. »Gerade so eben. Dann hast du morgen vielleicht ihren Vater am Hals, aber er ist schon ziemlich alt.«
Rap warf seinen Teller zur Seite und wischte sich den Mund ab, als habe er eine Entscheidung getroffen. Ogi hielt ihm den Wein hin, aber Rap schüttelte den Kopf.
»Ich bleibe lieber nüchtern.«
»Oh, du bist verschroben! Nüchtern, um der Götter willen? Nüchtern kämpfen? Die Jotnar finden das unmännlich. Das ist schlimmerer Betrug als der Gebrauch der Sehergabe!«
Schweigend stand Rap auf und streckte sich. Anscheinend hatte er sein Schicksal akzeptiert. Ogi hatte sich auf einen viel längeren Wortwechsel eingestellt, und er begann sich zu fragen, ob das ein Trick war und der Faun plante, in den Wäldern zu verschwinden. Er sah gewiß nicht aus wie ein Neuling, der sich auf einen Kampf gegen einen der schlimmsten Killer von Durthing vorbereitete.
Der Lärm zerbrechenden Gestrüpps verkündete die Ankunft von Kani. »Du nimmst das alles sehr gut auf«, stellte Ogi beklommen fest. Rap lächelte humorlos. »Es wird mir ein Vergnügen sein.«
»So?« Ogi war sprachlos.
Der Junge trat einen Schritt näher, und seine Augen funkelten im Licht des Feuers. »Wulli hat mir etwas ganz anderes über Grindrog erzählt. Ich wäre ohnehin in Versuchung geraten, wenn ich mir eine Chance ausgerechnet hätte. Jetzt kommst du und sagst, ich habe eine, und du hast mich in die Falle gelockt, also habe ich keine Wahl. Gut! Unser Freund Grindrog verdient es, daß man ihm noch ein paar verpaßt. Und noch mehr.«
Ogi öffnete den Mund und schloß ihn sogleich wieder.
»Aber wir haben noch ein wenig Zeit, oder?« sagte Rap leise. »Ich möchte mir gerne irgendwo ein Paar schwerere Stiefel leihen, und wir müssen Grindrog erst einmal trinken und über seine Probleme meditieren lassen… nicht wahr?«
Ganz plötzlich, irgendwie, hatte der Faun Ogi am Hemd gepackt und riß ihn von seinem Platz immer höher, bis er auf den Zehenspitzen stand. Und er lächelte. Das erste breite Lächeln an diesem Abend. Kein fröhliches Lächeln, alle Zähne waren viel zu nah an Ogis Nase.
»Wie viel?« verlangte Rap zu wissen. »Wie viel verdienst du, wenn das faunische Maultier den blinden Champion besiegt? Oder ist die Blindheit nur ein Wurm,
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