Dave Duncan
konnte man erkennen, daß er vor Wut schäumte, den Kopf gesenkt, die Zähne gefletscht, den Schweif erhoben. Er brüllte eine Kampfansage und nahm einen langen, langen Anlauf.
Rap fing an, sich Sorgen zu machen. Eher würde er sich einem wütenden Bullen stellen als einem wahnsinnigen Hengst. Zunächst ließ er das Pferd kommen, denn die verwirrte Herde hatte aufgehört, ziellos herumzulaufen und folgte ihm, aber als Firedragon die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht hatte und keinerlei Zögern an den Tag legte, beschloß Rap, daß es besser sei, etwas anderes zu versuchen. Falls das nicht gelang, würden er und der Spielmann einen sehr schnellen Rückzug antreten müssen.
»Firedragon!« brüllte er. »Hör auf! Zurück! Zurück!«
Würde es funktionieren? Normalerweise hörte der Hengst recht gut auf Rap. Er hielt seinen Atem an. Dann brach der Angriff zusammen. Firedragon drehte bei und stampfte und tänzelte frustriert und wütend. In wenigen Minuten schien er sich zu beruhigen, dann galoppierte er langsam zu seiner Herde zurück. Anscheinend hatte er seinen Versuch, über den Hügel zu verschwinden, aufgegeben. Die Pferde liefen kurz hin und her, dann machten sie sich langsam wieder ans Grasen. Bluebottle und Sunbeam hatten das Ganze voller Interesse beobachtet. Sie entschieden, daß die Vorstellung vorbei war und machten sich ebenfalls wieder daran, das Sommergras auszurupfen.
Rap rieb sich den Hals, denn seine Kehle fühlte sich rauh an. Er setzte sich wieder hin und fand Jalon glasig vor sich hin starren, das Mittagessen ganz vergessen.
»Diese Arbeit macht durstig«, sagte Rap und verspürte Unbehagen beim Anblick dieser weit geöffneten blauen Augen. »Darf ich noch ein wenig von diesem Wein haben, Sir?«
»Nehmt die ganze Flasche!« Jalon glotzte ihn noch eine Weile an, dann sagte er: »Warum ruft ihr überhaupt? Ihr habt doch nicht wirklich geglaubt, daß sie Euch auf diese Entfernung hören konnten, oder doch?«
Rap dachte über diese Frage nach, während er trank. Weil er sie nicht verstand, beschloß er, sie zu ignorieren. »Danke Euch.« Er stellte die Flasche hin und nahm sein Mahl wieder auf.
Nach langem Schweigen flüsterte der Spielmann, obwohl die Hügel menschenleer waren, so weit das Auge sehen konnte: »Master Rap, würde es Euch etwas ausmachen, zu teilen?«
»Was zu teilen, Sir?«
Jalon sah ihn überrascht an. »Euer Geheimnis. Was Euch zu dem hier befähigt… und dazu, den Damm zu einer Zeit zu überqueren, wenn sonst anscheinend niemand es je versucht hätte. Mein Singen ist von gleicher Qualität.«
Rap fragte sich, ob ein weiches Gehirn eine notwendige Voraussetzung für das Leben als Spielmann sei. Er konnte keine Verbindung zwischen Gesang und dem Überqueren eines Dammes erkennen und nur wenig Ähnlichkeit zum Herbeirufen von Pferden. Dieser Jalon war ein guter Barde, aber jeder, der in diesem Land sein Pferd einfach so losgehen ließ, hatte ganz klar nicht alle Tassen im Schrank. Vielleicht ging es sogar noch weiter. Er könnte ein total Verrückter sein.
»Ich rufe die Pferde bei ihren Namen, Sir. Sie alle kennen mich, und sie vertrauen mir. Ich gebe zu, ich war nicht sicher, ob ich den Hengst beruhigen konnte… ich glaube, er mag mich irgendwie. Die Geschichte über den Damm muß übertrieben sein. Die Flut begann gerade, aber es bestand keine Gefahr.«
»Also könnt Ihr die Stuten von einem Hengst weglocken?« Jalon nickte ironisch. »Natürlich. Ihr könnt reisen, wo andere es nicht können. Könige werden dafür gerügt, wie sie Euch behandelt haben. Prinzessinnen wollen Eure Hand halten…« Plötzlich schien er deprimiert. »Gibt es irgend etwas, das ich Euch anbieten könnte, damit Ihr es mir sagt? Ich verfüge über mehr, als es gerade den Anschein hat.«
»Sir?« Rap wußte absolut nicht, worum es ging.
Der Spielmann zuckte die Achseln. »Natürlich nicht! Und warum solltet Ihr mir vertrauen? Wäret Ihr so freundlich, Sunbeam zu rufen? Ich habe noch einen weiten Weg vor mir, bevor die Sonne untergeht.«
Rap hoffte, der Mann würde nicht versuchen, sein Pferd den ganzen Weg zu reiten. Er würde es sonst sicher lahm reiten. Aber das war nicht Raps Angelegenheit. Er rief Sunbeam, richtete die Gurte und hängte die Satteltasche wieder ein. »Ich danke Euch für das gute Mittagessen, Spielmann«, sagte er. »Mögen die Götter mit Euch sein.«
Jalon sah ihn immer noch merkwürdig an. »Darad!« sagte er. »Sir?«
»Darad«, wiederholte der Spielmann.
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