Dave Duncan
»Es gibt einen Mann namens Darad. Vergeßt diesen Namen nicht. Er ist sehr gefährlich, und er wird von Euch erfahren.«
»Danke für die Warnung, Sir«, sagte Rap höflich.
Nicht nur Tassen – diesem Mann fehlten auch noch ein paar Teller.
5
Alle Dinge sind sowohl gut als auch böse.
Inos wiederholte diesen heiligen Text hundertmal, aber sie konnte immer noch nichts Gutes in der Seekrankheit finden. Sie mußte vollkommen böse sein. Verzweifelt wünschte sie sich zu sterben.
Die Kabine war vollgestopft und abscheulich. Es stank, und es war schmutzig und dunkel. Es ging auf. Es ging ab. Es wogte und schaukelte.
Zwei Tage lang lag Inos darnieder und litt ganz schrecklich. Tante Kade war aufreizend immun gegen Seekrankheit, und diese Tatsache half Inos nicht mehr als die aufgeregten Versuche ihrer Tante, sie aufzuheitern.
Am Anfang war das Nichts. Sie suchte Trost in der Religion, da keine irdische Hilfe in Sicht war, außer vielleicht das Sinken des Schiffes und ein schneller Tod durch Ertrinken. Das Gute trennte sich von dem Bösen, und das Böse trennte sich von dem Guten. Genauso schnell, wie sie den Mundvoll Seife wieder losgeworden war, zu dem sie sich hatte überreden lassen. Die Welt entstand aus ihrem immerwährenden Konflikt. Bestimmt gab es einen immerwährenden Konflikt in Inos.
Am dritten Tag begann sie sich ein wenig besser zu fühlen. Manchmal.
Aber nicht lange.
Nur die kleinste Veränderung der Schiffsbewegung, und sie fühlte sich wieder total schlecht.
Doch es mußte eine Spur des Guten in der Seekrankheit geben, denn die heiligen Worte behaupteten das. Vielleicht war es Demut. Die dicke, vor sich hin zwitschernde Tante Kade war ein weit besserer Seemann als Inos. Meditiere darüber.
Der Gott hatte gesagt, ihr stünden schwere Zeiten bevor, aber sie hätte sich nie träumen lassen, daß die Zeiten so hart sein könnten wie jetzt. Nur wir haben einen freien Willen, nur die Menschheit kann das Gute wählen und das Böse fernhalten. Welche Wahl hatte sie getroffen, daß sie das hier ertragen mußte?
Nur wir können, wenn wir das wahre Gute finden, das Gute vermehren und das totale Böse in der Welt verringern.
Fangen wir damit an, daß wir die Seekrankheit abschaffen.
Ganz langsam schien das Leben als mögliche Alternative wieder in Betracht zu kommen. Langsam begann Inos über ihre Zukunft in Kinvale nachzudenken. Ihr Vater war als junger Mann einmal dort gewesen. Er hatte versprochen, daß sie Spaß haben würde – das ganze Jahr über reiten, hatte er gesagt, und schöne Feste. Selbst Jalon hatte gut über das Leben im Impire gesprochen, obwohl er Kinvale nicht kannte. Vielleicht, so dachte sie in besseren Momenten, vielleicht ist es ja doch erträglich. Schließlich war es auch nur für ein Jahr.
Als sie am dritten Morgen erwachte, verspürte sie einen Bärenhunger. Tante Kade lag nicht in ihrer Koje. Inos warf sich einen dicken Wollpullover und Hosen über, um der Welt gegenüberzutreten. Jetzt konnte sie akzeptieren, daß es wirklich etwas Gutes an der Seekrankheit gab – es war wunderbar, wenn sie aufhörte. Sie betrat das Deck, getröstet, daß ihre Religion nicht diskreditiert worden war.
Inos war entsetzt. Die Welt war eine wogende graue Düsternis. Es gab keinen Himmel, kein Land, nur aufgewühltes, graugrünes Wasser, das in alle Richtungen davonspritzte. Das Schiff war kleiner geworden. Es schien so wahnsinnig winzig und vollgestopft, eine kleine Holzkiste unter Seilen und schmutzigem Canvas, die in diesen grauen Hügeln auf und ab tanzte. Der Wind war eisig und grausam und schmeckte nach Salz… nicht einmal eine Möwe war zu sehen.
Zwei Seeleute standen achtern und unterhielten sich, sonst war niemand in Sicht. Sie spürte, wie eine dumme Welle der Panik in ihr aufstieg und unterdrückte sie. Die anderen mußten ja irgendwo sein, ebenso Tante Kade. Sie ging auf die beiden Seeleute zu und entdeckte, daß es nicht so einfach war, auf einem schaukelnden Schiff zu laufen, wie sie es erwartet hatte. Der Wind zerzauste ihr Haar und ließ ihre Augen tränen, und schließlich taumelte sie zu den Seeleuten hinüber, griff nach der Reling, an der sie lehnten, und zwinkerte die Tränen fort.
Der große hielt das Steuer und betrachtete sie voller Interesse, das sich auf jenen Teilen seines zerfurchten, wettergegerbten Gesichtes zeigte, die nicht völlig von silbrigen Haaren verdeckt waren. Der andere war extrem klein, gedrungen, und sah einfach unglaublich aus in
Weitere Kostenlose Bücher