Dave Duncan
schrägstehend. Aber nicht groß genug. Und auch leicht elfische Ohren, aber nicht spitz genug. Für einen Elfen ist er zu kräftig. Sie sind mager. Zu viel Brust für einen Imp, und nicht genug für einen Zwerg. Und diese breitgetretene Nase wirkt faunisch. Ein bißchen von allem. Ich nehme an, er war ein Pixie.«
Inos fand an der Nase nichts auszusetzen. Nicht jeder Mann sah mit der Hakennase eines Djinn gut aus.
Sie ging näher heran, bis sie zwischen der Figur und den Gipfeln stand, so daß die blinden Augen sie direkt anstarrten. Der graue Stein, durch jahrhundertelangen Regen und Wind rauh geworden, wirkte immer noch unheimlich realistisch, wie ein lebender, mit Schlamm bedeckter Mann. »Kehre um, Pixie«, sagte sie. »Sie können deine Botschaft nicht hören. Sie werden deinem Ruf nicht folgen.« Sie erwartete, daß Azak sie verspotten würde, doch er schien von derselben dunklen Stimmung befallen.
»Der Verwunschene Ort zeigt uns vielleicht noch schlimmere Dinge.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nichts könnte trauriger sein als das hier. Geh nach Hause, Pixie, zurück zu deinen Lieben. Sag ihnen, daß der Krieg vorbei ist.«
»Sie werden fragen, wer gewonnen hat«, sagte Azak leise. »Sag einfach, daß ihr verloren habt.« »Sie werden fragen warum.«
»Das >Warum< ist den Toten egal. Sag ihnen, ihr seid umsonst gestorben.« Einen Augenblick folgte Stille. Selbst der Wind wagte es nicht, zu flüstern, während er durch das Gras zu den Füßen des Jungen strich.
Azak ergriff wieder das Wort. »Erinnert Euch an die Worte des Dichters – nichts macht so viel Angst wie der morgige Krieg, inspiriert wie der heutige oder macht traurig wie der gestrige.«
Sie starrte ihn überrascht an. »Ihr glaubt daran?« Er wirkte verlegen und zeigte die Zähne. »Gestern ist mir ganz egal, und heute müssen wir reiten. Sagt Eurem Pixie auf Wiedersehen, meine Liebe. Er wird noch lange, nachdem wir verschwunden sind, seine Stellung hier halten.«
Noch einmal blickte Inos in die anklagenden Augen aus Stein. Dann erschauerte sie und ging zurück zu den Maultieren.
Aber dieser Pixie war nur der erste von vielen. Schon bald kamen sie zu zwei weiteren, die mit dem Gesicht nach unten lagen. Und dann immer mehr. Der Wald verlor sich, als schäme er sich, eine solche Katastrophe zu verbergen, und das Tal war in seiner ganzen Breite überschaubar, überschwemmt mit Steinkörpern. Die Straße selbst war völlig blockiert und zwang die Reisenden, vom Wege abzuweichen
und sich ihren Weg durch Gras und Felsen zu suchen, durch die stille Menge der Menschen hindurch.
Der Fluß, der über die Jahrhunderte hier verlaufen war, hatte ganze Gebiete von den schauerlichen Überresten freigespült, sie zusammengeschoben und unter Sand begraben, doch es würde noch viele Jahrhunderte dauern, bis ein Fluß eine derart umfangreiche Metzelei ganz überdecken konnte. Kriechpflanzen und Efeu hatten versucht, einige der Figuren mit einem grotesken grünen Pelz zu überziehen.
Viele lagen auf dem Boden, besonders einzelne Läufer, und oft waren die Gefallenen zerschmettert. In den überfüllteren Gebieten und wo der Boden weich war, standen die meisten noch aufrecht oder lehnten sich gegen ihre Nachbarn. Wenn sie nicht zerbrochen waren, befanden sie sich jedoch in genauso gutem Zustand wie der erste Pixie: stellenweise durch Erosion aufgerauht und mit Flechten überzogen, doch jede Einzelheit von Haar und Muskeln gut erkennbar.
Hunderte oder Tausende von ihnen… das Gesicht nach oben oder nach unten gewandt oder wie Trauernde zusammengekauert… alle waren in dieselbe Richtung gelaufen. Wie Azak vermutet hatte, waren sie vor irgend etwas geflohen, und jetzt mußten die Eindringlinge mit ihren Maultieren zwischen den warnenden, anklagenden Blicken von Myriaden von Steingesichtern hindurchreiten.
Die meisten waren junge Männer, eine in die Flucht geschlagene Armee, aber es gab auch viele Zivilisten. Inos sah Frauen jeden Alters, und eine ganze Menge alter Männer, die Spuren ihrer Wagen schon lange verschwunden. Sie sah Familien: Kinder, die die Hände ihrer Eltern ergriffen, Männer, die Kleinkinder auf den Schultern trugen, und ein Steinkind, das an einer steinernen Brustwarze sog. Sie sah Männer, die sich zu irdischen Besitztümern hinunterbeugten, die schon lange verschwunden waren und nur die Erinnerung an ihr Gewicht zurückgelassen hatten. Sie sah Soldaten mit Helmen, die verrostete Schwerter zückten, um sich den Weg durch den Mob zu
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