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Dave Duncan

Dave Duncan

Titel: Dave Duncan Kostenlos Bücher Online Lesen
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verbrannte, als sie sich erinnerte, was diese vier moralischen Krüppel ihr angetan und was sie vorgehabt hatten. Die Schadenfreude, der Spott, der konkrete Schmerz, und vor allem die geplante Entwürdigung… vier Männer gegen eine Frau… ihre Hand zitterte, als sie nach dem Dolch griff. Rache würde ihr guttun.
    Und sie hörte die Stimme ihres Vaters. »Tue das, was gut ist, nicht, was gut zu sein scheint«, hatte er ihr einmal gesagt. Wann? Warum? Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann es gewesen war – vielleicht ging es um irgendeine banale Sache in ihrer Kindheit. Aber das Gebot war nicht banal. Mit großer Mühe zähmte sie ihre Wut und blickte den alten Mann an.
    »Nein! Sie verdienen eine Bestrafung, da stimme ich zu. Aber nicht durch mich.« Der Scheich zog voller Unglauben seine schneeweißen Augenbrauen hoch und sah ihr auf einmal direkt ins Gesicht.
    »Bestrafung und Vergeltung sind nicht dasselbe«, rief Inos. »Ihr seid hier der Richter. Die Macht liegt bei Euch. Sie sind Eure Gefangenen. Also richtet, und führt Euer Urteil aus.« Sie holte tief Luft, zügelte ihre Stimme und fuhr fort: »Falls es Eurer Erhabenheit genehm ist – ich ziehe die Welt auf diese Art vor. Ich will das Leben so nehmen, wie es ist und mich wie ich bin.«
    Er runzelte die Stirn. »Ihr zittert.«
     
    »Unter diesen Umständen schäme ich mich nicht dafür. Ich zittere lieber, als eine Marionette zu sein.«
    Ein schwaches Lächeln legte sein dickliches rotes Gesicht in Falten. »Aus Euch spricht eine Königin! So soll es sein.« Er steckte den Dolch in seine Scheide zurück und wandte sich an die vier Gefangenen. »Ich befinde Euch also des Lebens für unwürdig. Sterbt, und mögen die Götter mehr Gutes in Euch finden als ich es kann.«
    Sie setzten sich ruckartig in Bewegung, drehten sich auf dem Absatz um und begannen zu laufen. Inos drückte ihre Fingerknöchel gegen den Mund, als sie sah, was dieses Urteil bedeutete. Natürlich würde der alte Mann sie beobachten, aber falls er erwartete, daß sie einen hysterischen Anfall bekam, so würde sie ihm diese Befriedigung nicht gönnen. Also hielt sie sich tapfer und sah zu, und durch irgendeinen okkulten Trick konnte sie durch die Dunkelheit sehen, wie die vier Jungen über das Gras näherkamen, das kleine Ufer hinunterstolperten und weiter über den Sand liefen. Sie wateten in den Fluß, bis ihnen das Wasser bis zur Taille reichte, der größte ging weiter, bis es an seine Brust reichte. Dann riß die Strömung auch ihn mit. Keiner von ihnen tauchte wieder auf.
    Inos atmete lange aus. Ihr war schlecht. Sie zitterte immer noch. Sie würde jahrelang Alpträume haben… So sei es! Es war die Gerechtigkeit des Scheichs gewesen, nicht die ihre.
»Und jetzt meine Tante, Eure Hoheit?«
    »Natürlich. Und der Erste Löwentöter wird in Kürze hier sein. Also kommt.«
    Er ging über die Wiese voran, im Kreis seiner eigenen Strahlung. Das Buschfeuer, das Kade entzündet hatte, war bis auf einige rote Funken und ein wenig blassen Rauch, der zwischen den Bäumen schwebte, erloschen, also würde der Wald nicht abbrennen. Der Himmel stand bereits voller Sterne – hier kam die Nacht viel überraschender als in Krasnegar.
    Tue das, was gut ist, nicht, was gut zu sein scheint. Nein, es war nicht ihr Vater gewesen, der ihr diesen Satz gesagt hatte. Es war einer von Raps kleinen Homilien gewesen. Rap hatte viele solcher Sprichworte gewußt. Oft hatte sie ihn damit aufgezogen. Die ganze Bande hatte Rap mit seinen Sprichworten geneckt; nicht, daß es schwer gewesen wäre, Rap aufzuziehen oder besonders befriedigend, denn es hatte ihm anscheinend niemals besonders viel ausgemacht. Er hatte nie wie ein Jotunn die Geduld verloren oder wie ein Imp geschrien. Er hatte einfach die Achseln gezuckt und getan, was er für richtig hielt.
    Warum dachte sie gerade jetzt an Rap? Wegen der Jagd? Weil sie voller Entsetzen vor den Männern geflüchtet war, wie sie so oft spielerisch vor Rap davongelaufen war? Sie konnte sich gut daran erinnern, wie er sie fing und in den Sand warf, und sie dort so lange festhielt, bis sie sich küssen ließ – als sie kleiner waren, natürlich. Nicht in den letzten ein oder zwei Jahren. Nachdem ein Kuß zu einer ernsten Angelegenheit geworden war, hatten sie sich nur einmal geküßt.
    Oder lag es daran, daß Rap für sie gestorben war, und daß jetzt wieder vier Männer wegen ihr tot waren? Vielleicht war es das.
    Der Scheich war bereits bei dem toten Pferd angelangt,

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