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Dave Duncan

Dave Duncan

Titel: Dave Duncan Kostenlos Bücher Online Lesen
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das Schluchzen eines Jungen. Lins Stimme hatte sich unter der Anspannung wieder zurückverwandelt. »Ich auch nicht«, sagte der Fremde ruhig.
    Rap murmelte ein leises Gebet an jeden Gott, der ihm gerade zuhören mochte. Er war wieder völlig angespannt. Das war es. »Rückt ein wenig auf und folgt mir dann.«
    Er ritt weiter und hatte irgendwie das Gefühl, ganz allein zu sein. Er zwang den alten Mustard in die Mitte des wellenüberspülten Dammes. Es mußte die genaue Mitte sein, andernfalls würden Lin oder der Fremde über den Rand rutschen: Sie mußten vor Anspannung schwitzen, weil sie an seiner Seite blieben und der Versuchung widerstanden, direkt hinter Rap herzulaufen, aber die Wagenlenker mußten wissen, wo die Straße war, wie weit es sicher war.
    Die Mitte! Bleib in der Mitte. Dieses Mal versuchte er nicht, sich vorzustellen, wie der Damm unter Wasser aussah. Es würde dort unten absolut schwarz sein. Irgendwie ertastete er im Dunklen sein Gewicht, seine Masse, seine harten Ränder in dem kalten Wasser.
    Bleib in der Mitte!
    Er hörte und fühlte, wie das erste Team in Panik geriet, und er sandte ihnen aufmunternde Gedanken; ihm wurde klar, daß er dasselbe seit einiger Zeit mit Mustard und Walrus und Dancer machte. Sein Kopf schien zu platzen, als wolle ihn jemand auseinanderreißen. Das hier war wichtig! Es könnte im Frühling eine Hungersnot geben – sterbende Babies, hungernde Kinder. Das Wasser war nicht tief. Die Wellen rollten über den Damm und wieder zurück. Wenn es heller wäre, könnte man den Rand leicht erkennen, aber er konnte nur fallenden Schnee sehen, eine helle Wolke um seine Laterne herum, und er konnte noch nicht einmal die Gischt erkennen, die von den Hufen seines Pferdes aufgewirbelt wurde.
    Die Wellen wurden tiefer.
    Die zweite Biegung… Er rief seinen Begleitern eine Warnung zu, wußte, daß sie von den tödlichen Rändern in sicherer Entfernung waren, überprüfte auch den Wagen hinter sich, ohne sich umzudrehen, sprach im Geiste weiter mit den Pferden.
    Er öffnete seine Augen und fragte sich, wie lange er sie geschlossen gehalten hatte.
     
    Seichter…
    Dann überfluteten die Wellen nicht mehr den ganzen Weg. Er erreichte Big Island. Big Damp und Little Damp lagen noch vor ihnen, aber das Schlimmste war vorbei.

    Der Rest des Weges lag im Nebel.

    Er stand auf der Hafenstraße, umklammerte die Zügel und weinte. Lin und der Fremde waren neben ihm, das wußte er, in einem Pulk zitternder Pferde und schreiender Menschen… und irgendein Idiot hielt eine Laterne hoch, und Rap wünschte bei allen Göttern, sie würden ihm das verdammte Ding abnehmen. Männer rannten aus der Stadt herbei, boten ihre Hilfe an und glaubten den Antworten auf ihre Fragen nicht. Tränen rannen über sein Gesicht, und er schluchzte zitternd. Er schämte sich, aber er konnte nicht aufhören. Er zitterte stärker als die Pferde, und er konnte sich selbst weinen hören – er hatte einen dummen Anfall, aber die Fahrer kamen zu ihm herüber und schüttelten seine freie Hand und schlugen ihm auf den Rücken, und er wollte, daß sie aufhörten und weitergingen. Er hörte nicht, was sie zu ihm sagten.
    Jemand nahm ihm Mustards Zügel ab. Ein Arm legte sich um seine Schultern, und endlich wurde diese verdammte Laterne weggenommen, und es war wieder dunkel.
    »Laßt den Mann schlafen gehen!« sagte eine Stimme ärgerlich. »Er ist völlig fertig, seht ihr das nicht?«
     
    Kein Mann, Sir, nur ein schwacher, wehleidiger Junge.
    Dann kam die Erleichterung, als der tröstende Arm ihn hielt, von der Menge und den Stimmen und den Gesichtern fortführte. Irgendwie wußte er, daß es der Fremde war, der Mann aus dem Impire, und dieser Fremde hatte in jener Nacht selbst gute Arbeit geleistet.
    »Danke, Sir«, murmelte Rap.
»Ihr müßt mich nicht ‘Sir’ nennen«, sagte die Stimme.
»Ich kenne Euren Namen nicht.«
    »Mein Name ist Andor«, sagte der Fremde, »aber nach allem, was ich heute abend gesehen habe, Master Rap, wäre ich sehr stolz, wenn Ihr mich einfach >Freund< nennen würdet.«

Clear Call:
     
    I must down to the seas again, for the call of the running tide 
    Is a wild call and a clear call that may not be denied.
     
    Masefield, Sea Fever

     
(Der Ruf der See:
     
    Zurück muß ich, hinab zur See; der Ruf der niemals stillen Gischt 
    ist wild und klar, und Widerspruch duldet er nicht.)

Vier
    Tausend Freunde

1
    Das Gesicht des Königs war verhärmt und gelblich, sein Bart sichtbar grauer als noch

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