Dave Duncan
Sie hätte ihn erkennen sollen, doch zuerst riet sie.
»Jalon?«
Wie zuvor Andor, sah der Spielmann an seinen blutbefleckten Kleidern hinunter und zitterte noch stärker. Ganz kurz klapperten seine Zähne. Sie wußte, daß Master Jalon ein sanfter, sensibler Mensch war, ein Träumer. Niemals ein Killer.
»Warum Ihr?« verlangte sie zu wissen. Viel mehr konnte sie nicht ertragen. Gar nichts mehr! Sie biß sich wieder auf die Knöchel ihrer Finger und kämpfte gegen den wahnsinnigen Drang zu schreien an. Sie war eine Prinzessin und mindestens zur Hälfte eine Jotunn, und sie mußte sich entsprechend benehmen. Doch der Schweiß lief an ihr hinunter, und die stinkende Luft bereitete ihr pochende Kopfschmerzen. Sie hatte in ihrem ganzen Leben nichts Gewalttätigeres getan, als mit einem Falken zu jagen.
Inos! Sie tat das alles für Inos! Der Gedanke schien sie zu beruhigen.
Doch Jalon bewegte sich am Rande der Panik. Erneut klapperten kurz seine Zähne. Dann jammerte er los. »Ich kann nicht! Er ist verrückt! Unmöglich!«
Kadolan hatte keine Ahnung, welchen Plan Sagorns Brillanz ersonnen hatte. Sie wußte nur, daß sich jeden Augenblick hundert Familienväter diese Stufen hinunter ergießen konnten. Sie hatten einfach keine Zeit mehr! Sie versuchte es mit dem Argument, das bei Thinal so wunderbar gewirkt hatte.
»Bitte, Master Jalon! Versucht es! Um Raps willen?«
Das Wimmern ging in ein Schlucken über.
»Ja. Für Rap! Ihr habt recht!« Der Spielmann bekam sich wieder in die Gewalt, unter Schwierigkeiten, die Kadolan eher hören als sehen konnte. Er zog seinen Kopf aus der Tür zurück, räusperte sich leise und brüllte dann los. Sie ließ vor Entsetzen beinahe den Dolch fallen.
»Hey! Kuth! Sieh dir das an!«
Er hatte einen zarkianischen Akzent. Er hatte die Stimme des toten Mannes. Es war die perfekte Imitation.
Eine gedämpfte Frage… dann, als jemand zum Fenstergitter kam, deutlicher. »Wer ist da?«
Jalon trat einen Schritt zurück. »Arg natürlich, Dummkopf! Wer sonst könnte hier sein? Komm und sieh dir das hier an, um Gottes willen.« »Was ansehen?« Der unsichtbare Kuth klang argwöhnisch.
Ein schlechterer Künstler hätte es vielleicht übertrieben; Jalon wußte, wann er aufhören mußte. Er trat zur Seite, wurde zu Darad, tief gebückt, das Schwert bereit.
Der Riegel kreischte. Die Angeln stöhnten. Kuth steckte seinen Turban durch die Tür. »Komm schon, Arg – du kennst die Regeln. Hier drinnen müssen immer fünf sein. Wenn du willst, daß ich was ansehe, mußt du ‘reinkommen und…«
Darad setzte sich in Bewegung. Kadolan folgte mit zusammengebissenen Zähnen und schwang ihren Dolch – aus der einen Tür hinaus, in die andere hinein, und – fall nicht über die Leiche – in das blendende Licht der Zelle. Die Hitze und der Gestank trafen sie wie eine Flut kochenden Unrats, der Gestank nach Männern, Ölrauch und Exkrementen, und süßlich nach Verwesung; das war der schlimmste von allen Gerüchen.
Die Spieler hatten auf einem Teppich an der anderen Seite des Raumes gesessen. Drei rappelten sich gerade auf und zogen ihre Schwerter. Ein weiterer hatte wohl schon gestanden, denn er stürzte nach vorne, als Kade eintrat, und sie sah, wie sich Darads Klinge in seinen Bauch grub. Das tötete ihn nicht, doch das Geräusch, das er machte, zeigte, daß er verletzt war. Und direkt vor Kade, sie durfte nicht darauf treten, lag…
Von jener Stelle kam der grauenerregende Geruch. Nackt, wie ein Schmetterling ausgebreitet, verschwollen, verrenkt, schwärzliches Fleisch, das lebend verrottete… Konnte er noch leben? Natürlich hatte sich eine barmherzige Ohnmacht über ihn gelegt.
Da sah sie, daß Darad sich zurückzog. Der Keller war gerade breit genug für drei Mann nebeneinander, und drei Männern sah er sich gegenüber. Alle hatten Krummschwerter. Zwei hatten auch Dolche gezogen. Sie traten über ihren schreienden, sich windenden Gefährten hinweg und drängten in einer Linie vorwärts. Alle bückten sich unter der niedrigen Decke; Darads Größe war jetzt ein Handicap.
In den Romanen, die Kade in ihren jüngeren Jahren gelesen hatte und in denen mehr passierte als in jenen, die sie als reife Erwachsene bevorzugte, nahmen es die Helden immer mit drei oder vier Schurken gleichzeitig auf. Sie hielten sich einen mit dem Schwert vom Leibe, einen anderen mit einem Stuhl, und setzten die anderen wahrscheinlich mit einem Tritt außer Gefecht. Rap hatte Stühle gegen Darad
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