Dave Duncan
beinahe fallen, und die Spitze berührte den Boden mit einem Klirren, das erschreckend laut klang. Andor schwankte und fing sich schließlich. Man hatte ihn nicht gehört; Spiel und Gelächter gingen weiter.
Er starrte entsetzt auf seine durchweichten Kleider und warf Kade einen finsteren Blick zu.«Jetzt wißt Ihr, wie es ist, mit Darads Erinnerungen zu leben.«
»Wie kommen wir dort hinein?« drängte sie ihn.
Die Zeit war verzweifelt knapp. Es gab eine Blutspur, es gab Leichen… es blieb gewiß keine Zeit sich zu fragen, wie sie jemals wieder hinauskommen sollten.
Andor rülpste, wischte sich den Mund mit seiner freien Hand ab und verzog das Gesicht. Er zwinkerte in das einsame Lichterviereck. »Nicht die leiseste Ahnung«, flüsterte er.
»Könnt Ihr sie dazu überreden, die Tür zu öffnen?«
»Wie viele?«
»Mindestens vier.«
Er schüttelte den Kopf und schwankte. »Zu viele. Einen vielleicht. Aber bei einem Fremmen – Fremden kommen sie wohl alle zur Tür. Auscherdem, binn ich heute nich’ in Bestform. Dauert zu lange.«
Er zwinkerte Kadolan töricht an und grinste ein dümmliches Lächeln, das all ihre Mutterinstinkte aufforderte, ihn zu verstehen und ihm zu vergeben.
Sie unterdrückte sie. »Dann ruft Doktor Sagorn und seht, ob er eine gute Idee hat.« »Zumindest ist er nüchtern«, willigte Andor feierlich ein und verschwand mit einem letzten behutsamen Schluckauf.
Sagorn fuhr sie an »Kommt!« Ungelenk, als versuche er, die Berührung mit dem feuchten Tuch zu vermeiden, ging er voraus durch die Höhle und duckte sich in die leere Zelle. Kadolan folgte ihm und wünschte, sie würden ins Helle und nicht ins Dunkle gehen – dem Guten, nicht dem Bösen entgegen. Selbst sie mußte sich unter der niedrigen Tür beinahe bücken. Der Raum stank, glich einer Hundehütte, und der Verwesungsgestank nach Ammoniak verriet ihr, wozu er benutzt wurde. Aber es war dunkel, und sie konnten durch das Gitter nicht gesehen werden.
»Wie kommen wir dort hinein?« wiederholte sie. »Oder wie bringen wir sie auseinander?«
»Ich weiß es nicht! Kriegsführung ist nicht mein Metier. Ich denke, wir warten einfach und vertrauen auf unser Glück. Seid ruhig und laßt mich nachdenken.«
Kade stand zitternd da und wußte, daß ihre Gedanken zu nichts führten. All diese Toten, um einen einzigen Mann zu retten! Und wahrscheinlich würden zwei weitere Leichen folgen, wenn sie und ihr wechselnder Gefährte entdeckt wurden. Das alles war ganz schrecklich falsch. Sie hatte fürchterlich gesündigt. Sie diente dem Bösen.
Metallenes Geschepper aus der anderen Tür ließ sie kalt erzittern. Türangeln kreischten. Sagorn knurrte und zog sie zurück, fort von dem schwachen grauen Rechteck in der Tür. Dann war der Mann, der ihren Arm hielt, wieder Darad.
»Mach für mich mit, Arg!« rief eine Stimme, dann Gelächter. »Halt deinen selbst, Kuth!« rief eine deutlichere Stimme draußen in dem dunklen Vorraum. Die Angeln quietschten, als der Mann die Tür hinter sich zuzog. »So was Großes kann ich nicht halten!«
Es folgten schallendes Gelächter und zustimmende Rufe von Kuth. Die Tür knallte zu, und der Riegel knarrte über das Holz. Arg hatte keine Laterne bei sich, es gab also nur einen Ort, den er aufsuchen konnte.
Seine Umrisse verdunkelten den Eingang. Erblieb stehen und spreizte die Beine. Darad wartete, bis Arg sich gerade erleichterte, bevor er sich bewegte. Kade hatte ihre Augen bereits geschlossen. Als sie sie wieder öffnete, zog der Riese die Leiche von der Tür fort.
Und war wieder Sagorn.
Er starrte auf die neueste Leiche hinunter. »Das kam unerwartet«, murmelte er.
»Hilft uns das weiter?«
»Ich wüßte nicht wie, außer, daß es mir wie Glück vorkommt. Zwei Menschen mit einem Wort der Macht sollten doppelt so viel Glück haben, würde ich sagen. Und jetzt würde uns alles helfen… Ah!« Er stieß einen langen Seufzer aus.
»Was…«
»Seht nur. Hier!« Er zog einen Dolch aus seinem Gürtel – ein Dolch, der vielleicht noch warm war, weil er die Kehle eines Jungen durchschnitten hatte. »Selbst Darad brauchte diesmal Hilfe.«
Der Griff war klebrig. Kade akzeptierte widerstrebend diese Tatsache und war unfähig, sich vorzustellen, daß sie sich jemals dazu überwinden könnte, den Dolch selbst zu benutzen. Das wollte sie gerade sagen, als sie entdeckte, daß sie noch einem anderen gegenüberstand – ein kleinerer Mann, jedoch nicht Thinal. Helles Jotunnhaar schimmerte in der Dunkelheit.
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