Dave Duncan
wie Platz fanden – nicht in der Großen Halle, sondern im Burghof, wo sich mehr Raum bot –, war sie auf die Mauer neben der Treppe zur Waffenkammer geklettert und hatte ihre Worte der Macht hinausgeschrieen, damit alle sie hören konnten. Nach dem dritten Wort war sie in Ohnmacht gefallen und eilig von der Haushälterin und dem Seneschal! hineingebracht worden. Doch sie hatte sich erholt, bevor die Menschenmenge sich zerstreuen konnte, und hatte darauf bestanden, wieder hinauszugehen und auch ihr viertes Wort zu zerstören. Niemand wußte, welchen Unsinn sie da zu sagen versuchte. Die Krasnegarer wußten im allgemeinen nichts über die Worte der Macht, und falls irgendeiner von ihnen auch nur den geringsten Schimmer einer Ahnung hatte, sprach er darüber nicht zu den anderen. Man nahm an, daß ihr Geist verwirrt war.
Wenn man ein Wort weitersagte, schwächte man seine Wirkung. Wenn man es Hunderten oder Tausenden von Zuhörern verriet, würde es sich in nichts auflösen.
Rap hatte nicht geglaubt, daß es physisch möglich sei. Er war nicht überrascht, daß Inos danach völlig zusammengebrochen war. Man hatte den Rat einberufen, doch da war Hononin verschwunden, um einige Pferde und Bettzeug zu holen; er hatte gerade noch die morgendliche Ebbe erwischt.
Deshalb warteten ein Feuer und trockene Decken auf den entkräfteten Reisenden. Und bis die Flut ihm gestatten würde, Inos aufzusuchen, hatte Rap nichts Besseres zu tun, als beides zu genießen.
Als seine Augenlider immer schwerer wurden, bemerkte er, daß er endlich keine Schmerzen mehr hatte. Er würde tatsächlich schlafen, zum ersten Mal seit dem Winterfest.
Nie wieder würde er die Hühnerklöße seiner Mutter schmecken. Hononin hatte zweifellos Raps Leben gerettet, indem er in der Nacht bei den Hütten blieb. Am Morgen vergolt ihm Rap diese Gunst. Ein richtiger Winterwirbelsturm fegte über Krasnegar hinweg, und nur Raps Sehergabe erlaubte den beiden Männern, ihren Weg zurück über den Damm zu finden. Raps Geschicklichkeit hielt die Pferde unter Kontrolle, doch sobald sie den Hafen erreicht hatten, verließ Rap seinen Gefährten und ritt eilig zur Burg.
Der erste Mensch, den er im Stall traf, war Lin. Er war größer, doch vor allem draller geworden. Hinter einem unordentlichen Schnurrbart war Lin ein sehr typischer Imp.
»Rap!« Er starrte ihn an, als habe er einen Geist gesehen.
Rap sprang aus dem Sattel. »Wo ist Inos?«
»Es geht ihr nicht gut. Aber, Rap, wo um alles in der Welt–« Rap griff ihm an die Kehle. »Wo ist Inos?«
»Im Au-Audienzzimmer«, stotterte Lin, und seine Augen quollen aus ihren Höhlen.
»Kümmer dich um mein Pferd!« brüllte Rap und rannte davon.
Jetzt traute er sich nicht einmal, den Burghof zu Fuß zu durchqueren, er nahm den langen Weg und hielt sich in den Gebäuden. Er traf Dutzende von Menschen, die zu zweit oder zu dritt zusammenstanden. Sie sahen ihn verwirrt an und machten ihm Platz. Einige riefen seinen Namen, und die Rufe verfolgten ihn. Ein oder zwei versuchten ihn aufzuhalten, doch er schubste sie beiseite und rannte weiter.
Er durchquerte die Große Halle, während sich ein Großteil der Bediensteten zum Essen setzte. Schnee bedeckte die Fenster, die Feuer brannten hell in der Dämmerung und füllten die Luft mit einem schwachen Duft nach Torf rauch. Dennoch erkannte man ihn, denn er war der einzige Faun im Königreich. Fröhliches Geplapper erstarb, und man drehte die Köpfe nach ihm um. Er rannte zum Thronzimmer und zur Treppe. Dort stellte sich im Kratharkran in den Weg, der die Treppe hinunterkam. Mit seiner Größe und den weizenfarbenen Haaren glich er so sehr dem jungen Krieger Vurjuk, daß Rap zurückprallte.
»Krath!«
»Rap!«
Krath, daran erinnerte sich Rap, war zum Mitglied des Rates ernannt worden – das hatte Inos ihm erzählt. »Wie geht es Inos?«
Das jungenhafte Gesicht des großen Mannes bekam einen traurigen Ausdruck. »Nicht gut. Woher kommst du, Rap?«
»Unwichtig! Ich muß Inos sehen!«
Der Schmied trat von einem Fuß auf den anderen und blockierte den Durchgang – den ganzen Durchgang. Er verschränkte die Arme. Gestern noch hätte Rap ihn bis nach Zark schießen können. Heute konnte er sich seinen Weg an Krath vorbei auch mit einem Vorschlaghammer nicht erzwingen.
»Sie ruht sich aus!« Der Jotunn betrachtete den Fremden voller Argwohn.
»Aber ist sie bei Bewußtsein?«
»Nein. Die Ärzte wollen sie zur Ader lassen, wenn du es wissen willst.«
»Zur Ader
Weitere Kostenlose Bücher