David Trevellyan 01 - Ohne Reue
wir beide den Verstand über Bord werfen und geradewegs hinüberspringen konnten, hatte das Schicksal eingegriffen. Ich wurde nach Marokko geschickt, um jemanden abzuholen.
Es hätte ein Routineeinsatz werden sollen. Höchstens vier Tage und dann wieder zurück. Tanya hatte sich um die Vorbereitungen gekümmert, darum hatte ich keinen Grund, mir Sorgen zu machen. Wie erwartet, begann der Job problemlos. Reiseunterlagen, Flüge, Währung, Unterkunft, Fahrzeuge. Alles verlief genau nach Plan. Bis gegen Ende des zweiten Tages gab es nicht den leisesten Hinweis darauf, dass etwas schieflaufen könnte. Doch eine halbe Stunde vor dem Treffen war auf einmal alles anders. Auf der Straße gerieten wir mit unserem Truck in eine Explosion. Wahrscheinlich war es eine Art selbst gebastelter Sprengsatz, aber der Vorfall wurde nie richtig untersucht. Ich habe nie herausgefunden, wer die Bombe legte, wie sie gezündet wurde und was mit unserem Kontaktmann passierte. Wer das Durcheinander beseitigte. Oder wie die sterblichen Überreste des Fahrers – eines Mannes, den ich seit zehn Jahren kannte – wieder nach Schottland kamen für einen Gedenkgottesdienst, an dem ich nicht teilnehmen konnte. Ich erinnere mich nur daran, dass ich zwei Tage später in einem Krankenhaus in Rabat aufwachte, einem ziemlich trostlosen Ort. Es war düster, und ich dachte schon, dass man mich allein gelassen hätte, doch als ich das Bewusstsein wiedererlangte, merkte ich, dass jemand bei mir war. Tanya. Sie stand am Fußende des Bettes und beobachtete mich schweigend, während eine einzelne Träne in ihrem rechten Augenwinkel blinkte.
Danach besuchte Tanya mich jeden Tag. Erst in Marokko und dann in Spanien, wohin man mich zur Erholung schickte. An manchen Tagen konnte sie sich nur ein paar Minuten Zeit nehmen, an anderen verbrachte sie Stunden mit mir. Aber egal, wie lange wir zusammen waren, wir konnten immer nur daran denken, wie wir es anstellen könnten, einmal wirklich Zeit füreinander zu haben. Allein, weit weg von Ärzten, Krankenschwestern und quietschenden Krankenhausbetten. Wir waren wie besessen davon. Regeln, Konventionen und Protokolle hatten keine Chance mehr. Nichts hätte mehr eine Chance gehabt, hätte das Schicksal nicht ein zweites Mal eingegriffen.
Am Tag meiner Entlassung aus dem Krankenhaus wurde Tanya versetzt. Ich erfuhr nie, wohin. Sie war einfach da, und am nächsten Tag war sie fort. Keiner von uns beiden konnte etwas dagegen unternehmen.
Ich habe seitdem häufig an sie gedacht und mich oft gefragt, ob meine Gefühle noch dieselben sein würden, wenn sich unsere Wege eines Tages erneut kreuzten. Und genau diese Frage stellte ich mir gerade wieder, als Tanya den Blick abwandte und sich umdrehte, um die Tür zum Vernehmungsraum zu schließen. Sie vergewisserte sich, dass sie wirklich zu war, und setzte sich dann auf den Stuhl, auf dem zuvor Gibson gesessen hatte. Ein Hauch von Sandelholz und Bergamotte wehte mir entgegen, und ich spürte, wie mir ein leichter Schauer über den Rücken lief.
Da hatte ich meine Antwort.
» Tut mir leid, David«, begann sie, » ich bin so schnell wie möglich gekommen. Hast du lange gewartet?«
» Tausendneunundvierzig Tage«, antwortete ich.
Einen Moment lang sah sie mich verständnislos an, dann lächelte sie verlegen.
» Entschuldige«, sagte sie. » Ich bin erst gestern angekommen und habe heute Morgen angefangen. Ich wusste nicht mal, dass du in der Stadt bist, bis die Detectives anriefen. Dann musste ich ein paar Dinge überprüfen. Es ist schon eine Weile her, seit ich vor einem amerikanischen Gericht die Klingen gekreuzt habe.«
» Du bist gerade erst angekommen, und sie haben dir den Fall übertragen?«, wunderte ich mich.
» Ich habe ihn mir genommen. Sie hatten keine Wahl. Meine Aktien sind in den letzten Jahren ein wenig gestiegen, und ich konnte das niemand anderem überlassen. Nicht, nachdem ich wusste, dass es um dich ging. Ich bin hier die Einzige, die weiß, wie du wirklich bist.«
» Wie bin ich denn wirklich?«
» Oh nein, darauf bekommst du keine Antwort. Nun, wir haben uns eine ganze Weile nicht gesehen. Wie geht es dir?«
» Kann mich nicht beklagen, ich bin noch heile. Und bei dir?«
» Mir geht es gut. Oder das wird es jedenfalls, wenn ich dich hier herausbekommen habe.«
» Weißt du schon, worum es geht?«
» Ich glaube schon. Bevor ich zu dir gekommen bin, habe ich mit den Detectives gesprochen. Sie haben eine Leiche und den ziemlich starken Eindruck,
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