David und Goliath
wäre?
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Diesen Zusammenhang zwischen einer neurologischen Fehlfunktion und einer erfolgreichen beruflichen Laufbahn wollen wir uns etwas genauer ansehen. Im vorigen Kapitel haben wir gesehen, dass Außenseitertum und ein weniger privilegiertes Umfeld die Freiräume eröffnen kann, die nötig sind, um eigene Ideen und Interessen zu verfolgen. Caroline Sacks hätte bessere Aussichten gehabt, ihren Traumberuf auszuüben, wenn sie eine weniger renommierte Universität besucht hätte. Der Impressionismus war nur möglich in einer kleinen Galerie, die kaum jemand besuchte, aber nicht in der angesehensten Gemäldeausstellung der Welt. Auch Legastheniker sind Außenseiter. Schon in der Schule sind sie isoliert, weil sie im Unterricht zurückbleiben. Könnte es sein, dass sie gerade als Außenseiter später einen Vorteil haben? Um diese Frage zu beantworten, wollen wir uns ansehen, welche Persönlichkeit Erneuerer und Unternehmer mitbringen müssen.
Zur Bestimmung von Persönlichkeitstypen verwenden viele Psychologen das »Big-Five-« oder »Fünf-Faktoren-Modell«, das jeden Menschen auf folgenden fünf Skalen verortet. 53 Nach Ansicht des Psychologen Jordan Peterson zeichnen sich Erneuerer und Revolutionäre durch eine ganz bestimmte Zusammensetzung dieser Eigenschaften aus, vor allem in den drei Dimensionen Offenheit, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit.
• Neurotizismus
• (Sensibilität / Nervosität vs. Sicherheit / Selbstbewusstsein)
• Extraversion
• (Dynamik / Geselligkeit vs. Eigenständigkeit / Zurückhaltung)
• Offenheit für Erfahrungen
• (Erfindungsreichtum / Neugierde vs. Beständigkeit / Vorsicht)
• Gewissenhaftigkeit
• (Sorgfalt / Planung vs. Spontanität / Sorglosigkeit)
• Verträglichkeit
• (Kooperativität / Empathie vs. Eigeninteresse / Antagonismus)
Dass Erneuerer offen für Neues sein müssen, muss man vermutlich nicht ausdrücklich erwähnen. Sie müssen sich Dinge vorstellen können, die andere nicht sehen, und sie müssen bereit sein, ihre eigenen Annahmen zu hinterfragen. Außerdem müssen sie sorgfältig sein. Erneuerer, die geniale Ideen haben, denen es aber an der Disziplin und Hartnäckigkeit zu deren Umsetzung fehlt, sind nicht mehr als Träumer. Auch das liegt auf der Hand.
Aber Erneuerer müssen vor allem unverträglich sein. Das heißt nicht, dass sie widerlich und fies sein müssen. Es bedeutet lediglich, dass sie auf der Verträglichkeitsskala des Fünf-Faktoren-Modells am äußersten Ende stehen. Es handelt sich um Menschen, die bereit sind, Risiken einzugehen und Dinge zu wagen, die anderen möglicherweise nicht gefallen.
Das ist nicht einfach. Die Gesellschaft stößt sich an unverträglichen Menschen. Als Menschen sind wir biologisch darauf programmiert, die Anerkennung und Zustimmung der Menschen in unserer Umgebung zu suchen. Doch ein radikaler Gedanke, der Veränderungen bewirken will, erreicht gar nichts, wenn er nicht bereit ist, Gewohnheiten zu hinterfragen. »Wenn Sie als harmoniesüchtiger Mensch eine revolutionäre Idee haben, mit der Sie bei anderen anecken – was machen Sie dann?«, fragt Peterson. »Wenn Sie Angst haben, anderen auf die Zehen zu treten und an gesellschaftlichen Strukturen zu rütteln, dann werden Sie Ihre Idee nie vortragen.« Oder wie der irische Theaterschriftsteller George Bernard Shaw einmal schrieb: »Der vernünftige Mensch passt sich der Welt an; der unvernünftige besteht auf dem Versuch, die Welt sich anzupassen. Deshalb hängt aller Fortschritt von unvernünftigen Menschen ab.«
Kaum jemand verkörpert dieses Prinzip so wie Ingvar Kamprad, Gründer des schwedischen Möbelriesen IKEA. Kamprad entdeckte, dass einer der größten Kostenfaktoren in der Herstellung der Zusammenbau der Möbel war. Es war nicht nur teuer, die Beine an einen Tisch zu montieren, sondern es verursachte vor allem zusätzliche Kosten bei der Lagerung und Lieferung. Also verkaufte er Möbel in ihren Einzelteilen, die sich in flachen Kartons transportieren und lagern ließen. Damit konnte er die gesamte Konkurrenz unterbieten.
Anfang der 1960er Jahre geriet Kamprad jedoch in Schwierigkeiten. Schwedische Möbelhersteller boykottierten IKEA. Sie waren wütend auf die Niedrigpreispolitik und weigerten sich, das Unternehmen weiter zu beliefern. IKEA stand vor dem Aus. In seiner Verzweiflung blickte Kamprad ins südliche Nachbarland Polen, ein Land mit billigen Arbeitskräften und großen Holzvorkommen. Hier kam einmal mehr Kamprads
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