Davids letzter Film
abgestoßen.
Es war völlig drüber. Keine Ahnung, wie so was kommt. Ob er Drogen genommen hat oder irgendwelche fertigen Typen kennengelernt
hat, ich weiß es nicht.«
Er holte Luft. »Und um ehrlich zu sein, es ist mir auch scheißegal inzwischen. Ich muss das nicht haben. Ich bin heilfroh,
dass ich schon länger nichts mehr von ihm gehört habe.«
Flo starrte auf die Straße. Einzelne Schneeflocken begannen durch die Luft zu tanzen.
»Kann es sein, dass er tot ist?«
»Auch das ist möglich. Ich sag doch, der Typ war in letzter Zeit völlig daneben. Du weißt ja, das kommt immer mal wieder vor,
besonders hier in Berlin.«
Das stimmte. Manche behaupteten, es läge am Berliner Winter. Oder an der fehlenden Sperrstunde. Oder an der verdammten Stimmung
in der Stadt. Jeder kannte jemanden, der früher oder später in der Psychiatrie gelandetwar. Einen? Ach was! Drei oder vier Namen fielen Florian auf Anhieb ein. Männer oder Frauen, die einfach zusammengebrochen
waren. Meistens fing es damit an, dass sie ihren Alkohol- oder Drogenkonsum hochschraubten. Dann konnten sie ein paar Tage
lang nicht schlafen. Wenig später kam der Zusammenbruch.
»Deswegen hake ich ja so nach.« Flo sah Hannes von der Seite an. »Wenn David hier in irgendeiner Geschlossenen versauert,
braucht er uns. Wir müssen ihn da rausholen.«
»Bist du dir da so sicher? Vielleicht ist er dort ganz gut aufgehoben! Ich kann mich nicht um alles kümmern, dafür sind Ärzte
und Pfleger da –« Hannes unterbrach sich. »Aber ich glaube nicht, dass David in der Psychiatrie steckt.«
»Woher willst du das wissen? Hast du mal nachgefragt?« Langsam wurde Flo ungeduldig. Hannes sollte endlich ausspucken, was
er wusste. »Ich kann verstehen, dass du nicht sein Kindermädchen sein willst. Du hast schließlich selber ein Kind«, fuhr er
fort und zwang sich zu lächeln. »Eine süße Tochter, jetzt hab ich sie ja kennengelernt. Aber das ist noch lange kein Grund
zu verschweigen, was du weißt. Hältst du mich für blind? Sieh doch mal in den Spiegel. Du siehst scheiße aus, Mann. Du zitterst.
Fast könnte man meinen,
du
solltest eingeliefert werden, nicht David!«
Hannes schnaubte. Diesmal war es ein Lachen. Bitter, aber ehrlich. Er zog den Wagen an den Bordstein. Sie waren einmal um
den Block gefahren und nur eine Querstraße von seinem Haus entfernt. Er stellte den Motor ab und sah zu Florian herüber.
»David hat das, was man mit Filmen machen kann, einfach missbraucht, Flo. Ich habe mit vielen Regisseuren gearbeitet, aber
keiner ist so wie er. Auf seine Weise ist er genial, er beherrscht die Bildersprache wie kein Zweiter. Es ist, als wären die
Bilder für ihn wie Worte. Er kennt ihre geheime Wirkung, seine Filme funktionieren auf vielen Ebenen. Ich habe keine Ahnung,
wie er das macht, er kann es einfach. Aber er ist dabei, sein Talent für fragwürdige Ziele einzusetzen. Und er hat die Grenze
längst überschritten.«
»Was denn für Ziele?« Flo verstand nur noch Bahnhof. »Was für eine Grenze? Red endlich Klartext!«
Hannes sah ihm in die Augen. Doch statt zu antworten, stieß er die Wagentür auf und sprang ins Freie.
Das Schneetreiben hatte zugenommen. Sie gingen schweigend ein Stück in den Wald hinein, der hier an die Straße grenzte. Während
sie durch den Neuschnee stapften, wurde Flo klar, dass seine spanischen Schuhe nicht wasserdicht waren. Innerhalb kürzester
Zeit hatte er eiskalte Füße.
»Individuelle Filme zum Beispiel«, ergriff Hannes das Wort, während sie weitergingen. »Das ist eine von Davids Erfindungen.
Die Filme sind auf einen einzigen, ganz bestimmten Zuschauer zugeschnitten. Wenn man will, kann man sich so einen Film bei
ihm bestellen. Also, natürlich nicht jeder. Dazu sind sie viel zu teuer. Aber wenn du das nötige Kleingeld hast und er dir
vertraut, dann geht das. Ein paar davon habe ich selber gedreht. Hauptsächlich werden sie allerdings im Schneideraum produziert.«
Er blieb stehen. »Der Film inszeniert eine Art Wunsch-oder Albtraum für denjenigen, der ihn bestellt hat. Der Kunde sieht sich selbst in dem Film, verstehst du? Wie er im Meer
schwimmt, durch einen Wald geht, in den Himmel fliegt. Das ist mit ein paar Tricks heute nicht schwer, die Tricks sind auch
nichts Besonderes. Für einen Unbeteiligten sieht es zum Teil lächerlich aus. Aber der Punkt ist, dass der Kunde genau das
nicht
ist: unbeteiligt. Er sieht sich ja selbst in dem Film, und das hat
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