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Davids letzter Film

Davids letzter Film

Titel: Davids letzter Film Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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wollte nicht nur
scheinbar
irgendeinen Schein durchschauen, er wollte
wirklich
einen Schein durchschauen. Darüber hat er mir auch mal in einem Brief berichtet.«
    Thea seufzte. »Wenn ich so etwas höre, werde ich immer ganz nervös. Was soll das heißen: scheinbar einen Schein durchschauen?«
    »Denk an das ›Corps‹. Der Held durchschaut die Studentenverbindung als Inszenierung, die einzig und allein den Zweck hat,
     ihn zu täuschen. Um diese Geschichte aber erzählen zu können, musste David die Wissenschaftler erfinden, die eine solche Inszenierung
     aufbauen. Sie sind diejenigen, die sich verschworen haben, um demHelden eine Welt vorzuspiegeln, die in Wahrheit eben nur Schein ist. Solche Wissenschaftler gibt es aber natürlich nicht wirklich.
     Kein Wissenschaftler verschwört sich mit Kollegen, um einen Menschen derart hinters Licht zu führen. Es ist reine Fiktion.
     Ebenso wie es nur eine Erfindung, eine Illusion, eine Fiktion ist, dass uns Maschinen in Nährflüssigkeit halten. Um also so
     eine verschwörungstheoretische Geschichte wie in ›Matrix‹ oder im ›Corps‹ erzählen zu können, muss man erst einmal jemanden
erfinden
, der den Helden absichtlich
täuscht
. Man muss die
Verschwörer
erst mal erfinden, um ihre Verschwörung dann aufdecken zu können. Ergo   …«
    Er machte eine Kunstpause. Thea unterdrückte ein Lächeln, sagte aber nichts.
    »…   ergo durchschauen wir in so einer Geschichte nicht
wirklich
irgendeinen Schein, sondern nur
scheinbar
. Es gelingt uns sozusagen nicht, durch eine solche Geschichte das Reich des Scheins zu verlassen. Richtig?«
    Thea atmete erleichtert aus. »Richtig.«
    Flo freute sich, dass sie ihm folgte. »Als David das erkannt hatte, überlegte er, ob er es nicht besser konnte. Ob es nicht
     doch eine Möglichkeit gab, dem Schein zu entkommen. Und er kam auf die Idee mit der Tokio-Doku. Seine Antwort auf die Probleme,
     die er im Laufe der Arbeit am ›Corps‹ erkannt hatte, lautete: Wir können nicht
wirklich
in einem Film einen Schein durchschauen. Aber wir können mit einem Film den
Argwohn
des Zuschauers
schüren
. Siehe die Tokio-Doku. Wenn der Zuschauer sie sieht, fragt er sich: Ist das echt? Gibt es diese verrückten Bildmuster wirklich?
     Oder werde ich an der Nase herumgeführt? Sollte ich mir diese Spiralenangucken? Oder werde ich am Ende dadurch noch wahnsinnig? Und was ist mit meinem Kind? Besser, es sieht sich das nicht an.
     Oder?«
    Flo nahm einen Schluck aus seinem Glas und fuhr fort. »Als Zuschauer weiß man bei dieser Doku nicht, was Schein ist und was
     Wirklichkeit. Auf jeden Fall wird man misstrauisch. Und das ist wiederum keine Illusion, kein Schein – kein Scheiß. Dieses
     Misstrauen ist
echt
, es ist dem Schein sozusagen entkommen.«
    Seine Aufregung begann sich langsam auch auf Thea zu übertragen. »Okay, aber was ist mit dem ›Metafilm‹?«, wollte sie wissen.
     »Wie passt der ins Bild?«
    »Richtig, das ist jetzt die Frage.« Flo schenkte sich nach. »David hat zwar in seinen Aufzeichnungen einiges recht anschaulich
     zum Ausdruck gebracht. Wie aus diesen Überlegungen ein kompletter Film werden sollte, ist mir aber nicht klar geworden.«
    »Nicht?« Thea runzelte die Stirn. »Also tappen wir weiter im Dunkeln?«
    »Nicht ganz. Was er beabsichtigte, ist schon erkennbar geworden.«
    »Und?«
    Flo stellte sein Glas auf den Tisch. »Um es kurz zu machen: Auch mit der Tokio-Doku war er eigentlich nicht zufrieden. Ist
     das Wahrhaftigste, was Film kann, wirklich nur eine Kette von Lügen, von Inszenierungen, von verschiedenen Formen der Illusion?
     Das war die Frage, die die Doku aufwarf. Denn natürlich gibt es solche Bildmuster, die wie eine Droge wirken, ebenfalls nicht
     wirklich. Wieder musste eine Lüge sozusagen vorausgesetzt werden, um an etwas Wahres heranzukommen. Unddas hat David nicht gereicht. Er wollte mehr als nur Misstrauen schüren, er wollte zu einer positiven Aussage kommen.«
    Er hielt inne. Thea hatte die Decke über die Schultern gelegt und sich aufmerksam nach vorn gebeugt.
    »Also?«, fragte sie.
    Wieder fiel ihm auf, welcher Sog von ihren grünblauen Augen ausging. Jedes Mal, wenn er hineinsah und ihrem Blick begegnete,
     war es, als flatterte ein ganzer Schwarm Wildvögel in seinem Bauch auf.
    Er versuchte seine Gedanken zu ordnen. »Also war Davids Grundidee einfach folgende: Was wäre, wenn wir nicht länger die
angebliche Wirklichkeit
als
Schein
durchschauen wollen – wie es die üblichen

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