Davids letzter Film
sie. Ein sorgfältig aufgerolltes und in einer durchsichtigen Plastiktüte verpacktes Filmnegativ
kam zum Vorschein.
Florian öffnete die Plastiktüte, holte die Filmrolle daraus hervor und hob den perforierten Streifen gegen das Licht. Ein
3 5-Millimeter -Breitwand-Negativ, dessen einzelne Kader so groß waren, dass er mit bloßem Auge winzige Figuren darauf erkennen konnte. Es
musste die einzige Sequenz vom »Metafilm« sein, die jemals produziert worden war. Die Sequenz, die David den Amerikanern vorgeführt
hatte!
Mit der Filmrolle in der Hand kehrte Florian zum Schreibtisch zurück, fand nach einigem Suchen in den Schubladen eine Lupe
und beugte sich gespannt über das Material. Eins nach dem anderen begann er die Bilder durch das Vergrößerungsglas hindurch
zu betrachten.
27
Es war weit nach Mitternacht, als Florian mit der Filmbüchse unterm Arm die Wendeltreppe vom Arbeitszimmer wieder hinabstieg.
Von der Galerie aus sah er, dass Thea noch wach war. Sie lag auf dem Sofa im Wohnzimmer und las in einem Buch. Florian blieb
an der Balustrade stehen und blickte hinunter. Thea hatte sich mit einer Wolldecke zugedeckt und lag auf dem Rücken, ihr offenes
Haar breitete sich wie ein kostbarer Teppich unter ihrem Kopf aus. Als er sie so sah, schien sie ihm die begehrenswerteste
Frau zu sein, der er jemals begegnet war.
»Da bist du ja.« Sie hatte ihn über den Rand ihres Buches hinweg auf der Galerie bemerkt. »Hast du etwas herausgefunden?«
Als er ins Wohnzimmer kam, hatte sie sich aufgesetzt und das Buch zur Seite gelegt. Ein halb gefülltes Rotweinglas stand vor
ihr auf dem niedrigen Glastisch.
Flo deutete auf die dazugehörige Flasche. »Ist er gut?«
Thea griff nach ihrem Glas und schwenkte es. »Find ich schon. Dort hinten sind Gläser. Nimmst du dir eins?« Sie zeigte auf
einen Schrank in der Ecke.
»Hat David eigentlich mal über Verschwörungstheorien mit dir gesprochen?«, fragte Flo, während er die Filmbüchse und das Vergrößerungsglas
auf einen Stuhllegte und sich mit einem langstieligen Glas aus dem Schrank versorgte.
»Verschwörungstheorien … ja, ich glaube schon«, antwortete Thea. »Aber da muss ich schon abgeschaltet haben, ich kann mit solchen Überlegungen nicht
viel anfangen.«
Flo kam mit dem Glas zurück zum Tisch und schenkte sich ein. »Was genau er mit dem ›Metafilm‹ plante, ist mir auch noch nicht
ganz klar«, sagte er, stellte die Flasche ab und setzte sich in den Sessel, Thea gegenüber. »Aber ein wenig habe ich schon
begriffen was David vorschwebte, glaube ich.«
»Ach ja?« Thea sah ihn ungeduldig an.
Flo lächelte. »Ich glaube, es ging ihm um das, was Geschichten, in denen Verschwörungstheorien eine Rolle spielen, gemeinsam
ist.«
»Was ihnen
gemeinsam
ist?«
»Solche Geschichten funktionieren immer nach dem gleichen Schema. Es geht immer darum, dass der Held das, was er für die Wahrheit
gehalten hat, als Schein durchschaut. Angebliche Fakten entpuppen sich als Inszenierung. Bestes Beispiel, das David auch selbst
erwähnt: der Film ›Matrix‹. Hat er davon mal gesprochen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Mit mir nicht.«
»Der Film führt vor, wie der Held entdeckt, dass das, was er für die Wirklichkeit gehalten hat, gar nicht die Wirklichkeit
ist, sondern nur Schein«, fuhr Flo fort. »In diesem Fall wird der Schein durch ein Computerprogramm erzeugt, das an die Nervenenden
der Menschen angeschlossen ist. Alle Menschen glauben, sie laufen durch die Welt und sehen alles Mögliche – in Wirklichkeitaber liegen sie in einer Nährflüssigkeit, und das Programm speist ihr Gehirn. Und die Geschichte des Films ist nun, dass der
Held diesen Schein durchschaut und dahinter auf die wahre Wirklichkeit stößt.« Er holte Luft. »Soweit alles klar?«
Thea nickte. Ein bisschen sah sie aus, als ob sie fürchtete, wieder nicht zu verstehen, worauf es hinauslief. Und ein bisschen
so, als ob sie noch immer das Gefühl hätte, das ganze Projekt sei ein Irrweg.
»Willst du das alles überhaupt wissen?«
Thea griff nach ihrem Glas und lächelte. »Mach schon weiter, so schwer kann es doch gar nicht sein.«
»Also weiter.« Flo überlegte kurz, dann fuhr er fort. »So einen Film wie ›Matrix‹, in dem der Held hinter dem Schein die Wirklichkeit
erkennt, so einen Film hat David ja auch gemacht.«
»Das ›Corps‹.«
»Genau. Aber je länger er über diesen Film nachgedacht hat, desto unzufriedener wurde er damit. Er
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