Davina
nicht stolz auf Sie?« fragte er sie. Sie wanderten über die breite Prachtstraße. Er blieb stehen, um sich eines der eleganten Schaufenster anzuschauen. Ausgestellt waren teure Handtaschen und Seidenschals. »Sie wissen nichts von meiner Tätigkeit«, antwortete sie. »Die dort ist hübsch, die braune Tasche mit dem Seidentuch – muß von Hermes sein. Sie machen die schönsten Designs. Die Tasche kostet bestimmt ein Vermögen.«
»Was glauben Sie dann, was Sie tun?« fragte Harrington. Sie gingen langsam weiter.
»Sie glauben, ich sei Privatsekretärin des Chefs«, sagte sie. »Er und mein Vater kennen sich seit Jahren. Meine Mutter versucht taktvoll zu sein und fragt, wie ich vorankomme, so wie man vielleicht über die Leistungen in der Schule spricht, Sie wissen doch – ›Na, wie geht's mit der Arbeit?‹ –, und läßt dann ein paar Bemerkungen über berufstätige Frauen fallen, die als alte Jungfern ihr Leben beschließen. Sie meint es gut, aber mir ist es peinlich.«
»Ich weiß nicht«, sagte er nachdenklich. »Sie sind eine ausgesprochen aparte Frau. Ich habe Ihnen das früher schon einmal gesagt, und es ist mein Ernst. Besonders im letzten Jahr haben Sie sich gemacht. Wollen Sie nicht heiraten? Sie könnten unter vielen Anwärtern wählen.«
Sie lächelte. Es war ein ironisches Lächeln, gefolgt von einem ungeduldigen Kopf schütteln. »Ich habe es einmal versucht«, sagte sie. »Ich fand einen netten Mann, der zu mir paßte, und er ließ mich sitzen, um meine Schwester zu heiraten.«
»Entzückend«, meinte Peter Harrington. »Sie muß ein tolles Frauenzimmer sein.«
»Oh, seien Sie vorsichtig«, sagte Davina. »Auch Sie würden sich, wie alle anderen, Hals über Kopf in sie verlieben. Es hat noch keinen Mann gegeben, der ihr nicht vom ersten Augenblick an zu Füßen gelegen hätte … außer einem.«
Sie beschleunigte den Schritt. Harrington sah sie an. Sie hatte den Mund zu einem halben Lächeln verzogen.
»Und wer war das?«
Sie sah ihn verschmitzt von der Seite an.
»Iwan der Schreckliche«, sagte sie. »Er hat mich vorgezogen. Lassen Sie uns irgendwo hineingehen und etwas Kaltes trinken. Ich bin durstig.«
»Dort drüben ist ein Café«, erwiderte Harrington und steuerte auf die Eingangstür zu. »Sagen Sie mir, wie hat denn Iwan Ihre Schwester überhaupt kennen gelernt?«
»Weil ich ihn über das Wochenende mit nach Hause genommen habe«, sagte sie leichthin. »Meine Eltern hielten ihn für einen Polen von der Botschaft. Es war ein interessantes Experiment. Aber das spielt jetzt alles keine Rolle mehr. Ich hatte die Erlaubnis vom Chef, und wir haben das Wochenende bei meinen Eltern verbracht. Damals habe ich zum ersten Mal mit ihm geschlafen. Und meine Schwester erwartete, er würde an ihre Schlafzimmertür klopfen. Eigentlich komisch, wenn ich darüber nachdenke …«
Sie setzten sich an einen Tisch im Freien. Die Kellnerin kam, um ihre Bestellung entgegenzunehmen.
»Zwei Bier, bitte.« Harrington bot ihr eine Zigarette an. »Wissen Sie, ich bin richtig ein wenig eifersüchtig.«
»Seien Sie nicht albern«, sagte Davina sanft. »Sie empfinden nichts dergleichen. Sie machen bloß schöne Worte, um nicht aus der Übung zu kommen. Ich habe zwar nichts dagegen, aber erwarten Sie nicht von mir, daß ich darauf eingehe.«
»Das liegt ganz bei Ihnen«, sagte er.
Der schlaue Hund, dachte er bei sich. Er hatte gewußt, wie er sie angeln konnte. ›Er hat mich vorgezogen.‹ Kein Wunder, daß sie sich in ihn verliebt hatte. Aber er sagte nichts; sie tranken das kühle Bier und sahen der Menschenmenge zu, die an diesem schönen Sommertag Ende Juni an ihnen vorbeizog. Westberlin besaß eine besondere Atmosphäre: man spürte überall Lebendigkeit und Frohsinn, die geradezu ansteckend wirkten. Und mitten durch diese Stadt lief die verabscheuungswürdige Mauer mit ihren Wachtürmen, dem Stacheldraht und den Vopos, die mit schussbereiten Maschinenpistolen ihre Streifengänge ausführten. Und hinter dieser Mauer lebten die glücklosen Einwohner der Deutschen Demokratischen Republik. Laut Plan sollten sie am nächsten Morgen in den Osten hinüberfahren. Harrington hatte Plätze für den Frühbus reservieren lassen, der Checkpoint Charley passierte. Sie waren im Besitz von bundesdeutschen Pässen auf die Namen Dieter und Helga Jäger. Eine ältere, in der Ostzone wohnende Tante, die zum ostdeutschen Netz des Chefs gehörte, würde auf der anderen Seite des Checkpoints, wenn sie aus dem Bus
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