Davina
normal. Sie ist ein nettes Mädchen, und Sie werden sich mit ihr bestimmt nicht langweilen.« Jeremy Spencer-Barr sah ihn mit seinen humorlosen blauen Augen direkt an.
»Nichts, was mit meiner Tätigkeit zu tun hat, wird mich jemals langweilen«, versicherte er.
Der Altere war seit seiner Militärzeit im Nachrichtendienst tätig. Er betrachtete die übereifrige Jugend mit spöttischer Reserve. Er besaß außerdem einen untrüglichen Instinkt für jene seltene Menschengattung, die in der geheimnisvollen Welt der Geheimnisse auftaucht. Er sprach seine Gedanken auf Band, wenn er allein war. Sie wurden dann zu Papier gebracht und mit Kurier nach London weitergeleitet. Ehrgeizig, intelligent, etwas zu selbstsicher. So lautete seine Ansicht über den neuen Mitarbeiter. Und dann fügte er noch etwas hinzu, was sein Chef und Humphrey Grant verstehen würden … »Würde jeden Auftrag übernehmen.« Das hieß, daß der geschniegelte junge Gentleman zu dem Typ gehörte, der ohne Zögern auch einen Mord begehen würde, falls er den Auftrag dazu bekam. Er stellte das Gerät ab und schloß es in seinen Schreibtisch ein.
Jeremy Spencer-Barr machte sich auf den Weg, um die Sehenswürdigkeiten Moskaus kennen zu lernen. Begleitet wurde er von einer aufgeregten Botschaftssekretärin, die ihn schrecklich gutaussehend fand und trotz eines leichten Schuldgefühls ganz froh war, daß Michael Barker den Herzanfall bekommen hatte.
»Oh, ich bin so froh, wieder daheim zu sein«, sagte Charley. Sie streckte die Arme über den Kopf und hielt ihr Gesicht in die warme Nachmittagssonne. Ihre Eltern lächelten sich gegenseitig an. Für sie war Charley ein wunderbarer Hausgast; sie war immer gut aufgelegt und erzählte amüsante Anekdoten aus ihrem Leben in London. Man brauchte sie nur anzusehen, und man wurde vergnügt. Sie gehörte zu jenen Frauen, die immer strahlend aussehen. Auch ohne Make-up war sie hübsch – in Bluse und langen Hosen genauso wie im Abendkleid.
»Der Garten ist großartig«, sagte sie zu ihrer Mutter. »Auf der Terrasse duftet es wunderbar.«
»Das sind Königslilien«, erklärte Mrs. Graham. »Sie blühen nicht sehr lange, aber sie duften herrlich. Hüte dich vor der Sonne, Liebling, sie wird hier sehr heiß. Du willst dir doch keinen Sonnenbrand holen.«
»Ich will keine Sommersprossen bekommen«, antwortete Charley. »Das ist das schlimmste an roten Haaren – man kriegt Sommersprossen über und über – wie ein braunes Ei. Keine Angst, ich creme mich ein. Ich möchte mit gesunder Farbe nach London zurückfahren. Aber daran denke ich noch gar nicht.«
»Warum bleibst du dann nicht etwas länger hier?« meinte Captain Graham. »Du könntest dich ein paar Tage bei uns ausruhen. Das würde dir gut tun, Charley. Ich finde, du führst in London, ganz auf dich allein gestellt, ein viel zu hektisches Leben.«
»So hektisch war es gar nicht«, sagte sie. »Ich bin zwar viel ausgegangen, aber ich bin niemandem begegnet, der mich interessiert hätte.« Sie öffnete die Augen und setzte sich auf. »Der einzige Mann, der mich regelmäßig ausführt, fragt mich unablässig nur nach Davina aus.«
»Tatsächlich?« Ihr Vater war überrascht. »Wer ist er – und warum führt er dich aus, wenn er sich nur nach ihr erkundigt?«
»Darüber zerbreche ich mir auch den Kopf«, sagte Charley. »Er heißt Jeremy Spencer-Barr. Er arbeitet im Verteidigungsministerium und sagt, er habe Davina ein paar Mal getroffen. Ich habe zuerst gar nicht darauf geachtet und hielt diese Fragen für ziemlich langweilig, aber er ließ nicht locker. So war es jedes Mal, wenn wir ausgingen. Ihr erinnert euch doch an diesen Polen, den sie mit herbrachte – ja, er erkundigte sich auch nach ihm.«
»Was fragte er denn?« wollte ihre Mutter wissen.
»Er fragte, in welchem Verhältnis die beiden zueinander stehen«, antwortete Charley. »Es war dumm von mir, die Sache überhaupt zu erwähnen – ich habe das Ganze vielleicht etwas aufgebauscht. Das passierte, als ich ihn nach der Rückkehr von dem Wochenende bei euch auf einer Cocktailparty kennen lernte. Er führte mich zum Abendessen aus und stellte mir eine Menge Fragen über Davy und den Polen. Ich fand das ziemlich langweilig. Mein Gott, dachte ich, was ist an den beiden so interessant? Dann sagte er etwas, was mir später zu denken gab. Er sagte: ›Sie hat einen Posten bekommen, den ich haben wollte. Wenn sie gewußt hätten, daß sie ein Verhältnis unterhält, hätte sie die Stellung
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