Davina
Informanten des KGB auszuschalten, als ihm der junge Mann Jeremys Warnung zugeflüstert hatte.
»Keine Sorge«, hatte er gesagt – wie der harte Profi aus einem zweitklassigen Spionagefilm –, »ich weiß schon, wie ich mit ihm fertig werde.« Und der Idiot hatte ihm geglaubt und auch noch seine Hilfe angeboten. »Bitte, verlassen Sie sich auf mich – ich bin entschlossener, als ich aussehe – ich könnte jemanden umbringen …« Und Harrington hatte ihm die Hand auf seine magere Schulter gelegt und gesagt: »Das glaube ich Ihnen.«
Er blieb in der Halle stehen. Davina war oben. Das gab ihm Zeit, seinen Telefonanruf durchzuführen. Mit ihren Nerven stand es nicht zum besten, das soll keine Kritik sein, sagte er zu sich. Sie war eine mutige und überlegt handelnde Frau. Alte, hartgesottene Profis wie er selbst wurden nervös, wenn die letzte Stunde heranrückte. Ihr Motiv war die Liebe, wie bei dem Mädchen und dem Jüngling mit dem Gesicht eines Poeten.
Er wollte nicht an Davina denken. Er brauchte die Ruhe, mußte wenigstens ein paar Minuten allein inmitten der Schönheit des Gartens in der russischen Sonne sitzen. Die Russen verstanden es, Häuser und Gärten schön herzurichten. Sie konnten einen Badeort wie Jalta mit seinem Ruf, früher einmal die reichen Kranken geheilt zu haben, in ein Paradies für gewöhnliche Russen verwandeln. In einen Ort, wo der einfache Arbeiter die Segnungen eines Erholungsbades genießen konnte, wo Familien ihren Urlaub verbringen und staunend die Pracht alter Paläste betrachten konnten, die jetzt in Museen oder Sanatorien zum Wohle der Werktätigen umgewandelt worden waren. Vorausgesetzt natürlich, daß sie die behördliche Genehmigung erhielten, dorthin zu fahren … Keine Gesellschaft war vollkommen, redete sich Harrington ein. Aber das spielte auch keine Rolle, wenn man es zynisch betrachtete. Er konnte gegen seine eigene Natur nicht an. Er machte sich über alles lustig, über Geheiligtes ebenso wie über banale Dinge. Er fand unter einem Baum einen Gartenstuhl und trug ihn in die Sonne. Er setzte sich hin, schloß die Augen und wandte das Gesicht der Sonne zu. Fünfzehn Jahre Tätigkeit im Geheimdienst von James White; fünf Jahre Verrat.
Es hatte sich schrittweise entwickelt, während er in Westdeutschland arbeitete. Der erste Kontakt war kaum merklich vor sich gegangen – eine bloße Einflüsterung von gegnerischer Seite. Zunächst waren seine Motive durchaus ehrenwert gewesen; er lauschte den Einflüsterungen und beabsichtigte, London davon zu unterrichten … Und diese Meldung hatte er dann immer wieder hinausgeschoben. Kontaktperson war ein Westdeutscher, ein Journalist, den er seit vielen Jahren kannte und schätzte. Gesprächsthema war zunächst die Korruption: jeder strecke die Hand aus und zweige etwas für sich persönlich ab. Der Kalte Krieg sei vorüber, aber die Regierungen hielten den Geheimdienst in Gang, weil alle nur ihre Pöstchen im Auge hatten. Die Leute ganz oben richteten sich mit Nummernkonten in der Schweiz auf ein Pensionsdasein ein, während die Mitarbeiter draußen weiter schufteten und schließlich mit ein paar Pfennigen abgefunden wurden.
Das Geld liege auf der Straße. Es sei an der Zeit, daß Harrington an sich selbst und an seine eigene Zukunft denke. Er erinnerte sich jetzt an diese Gespräche, während er im Hotelgarten in der Sonne saß. Er überdachte seine Beweggründe nur sehr selten und erinnerte sich nur gelegentlich an die Zeiten, als er noch ehrlich gewesen war. Die eigentliche Anbahnung war zeitlich geschickt berechnet gewesen. Er hatte keine Aussicht auf Beförderung; seine Arbeit war eintönig, und auf der Bank geriet er in die roten Zahlen. Er fühlte sich gelangweilt und von der Ruhelosigkeit des reiferen Alters geplagt, wenn die Haare schütterer werden. Er blieb zunächst unentschlossen und zögerte, bis man ihm einen konkreten Vorschlag machte. Das Geld stand in keinem Verhältnis zu seinem Einsatz. Er nahm es, und der wirkliche Verrat war die kaum merkliche Folge. Die anderen brauchten ihn nicht zu bestechen; Harrington war ehrlich genug, sich nicht hinter einer Erpressung zu verstecken. Er hatte an der Tätigkeit als Doppelagent irgendwie Gefallen gefunden. Sein Schweizer Bankkonto wuchs, und seine Fähigkeiten wurden fachmännisch auf die Probe gestellt; der im Lauf der Jahre spürbarer gewordene Minderwertigkeitskomplex erwies sich als Rachegelüst an seinen Kollegen.
Er riß öffentlich schlechte Witze
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