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Davina

Titel: Davina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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drohen und sie der Lüge bezichtigen, bis sie ihnen die Genugtuung verschaffte, unter dem Druck zusammenzubrechen.
    »Schert euch zum Teufel«, murmelte sie vor sich hin. »Ich bin Gertrude Fleischer, bis sich dieser Schuft vor mich hinstellt und erklärt, ich sei es nicht« – und sie sagte in ihrem widerborstigen Tonfall: »Ich lüge nicht. Warum holen Sie meinen Mann nicht her? Er hat meinen Paß und alle meine Papiere.«
    Furcht kann in verwegene Kühnheit umschlagen. Ihre Beine zitterten, und ihr Herz hämmerte, als wolle es sich selbständig machen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und erwiderte den Blick des Mannes, der sie verhörte. Sie wußte es zwar nicht, aber sie war in diesem Augenblick ganz die Tochter ihres Vaters. Wie er, als er im letzten Krieg auf der Brücke seines Kreuzers gestanden und Kurs auf den Gegner genommen hatte.
    Der Fremdenführer von Intourist sprach kurz mit dem Kapitän. Dieser nickte. Als sich der Mann wieder zu ihr umwandte, lag unverhohlene Drohung in seinem Gesicht. Er trat einen Schritt auf sie zu und hielt ihr den Zeigefinger dicht vor das Gesicht.
    »Wenn Sie nicht mit mir und dem Kapitän dieses Schiffes zusammenarbeiten«, sagte er mit lauter Stimme, »dann werden Sie, sobald wir wieder in Jalta sind, der Sicherheitspolizei übergeben. Wir kehren sofort dorthin zurück. Wir nehmen Sie in Gewahrsam, bis wir dort anlegen und Sie verhaftet werden.«
    Die nächsten drei Stunden verbrachte sie in einem alten Spind. Es besaß keine Ventilation, außer einem kleinen Spalt unter der Tür, und kein Licht. Sie tastete mit den Händen an den Wänden herum und atmete lange und tief ein, um nicht in Panik zu geraten. Es gibt gar nicht so etwas wie Platzangst. Dies hier ist bloß ein Schrank. Die Leute versuchen lediglich, dich so in Angst zu versetzen, daß du zugibst, gar nicht Gertrude Fleischer zu sein, und sobald du das tust, bist du ihnen ausgeliefert. Sie werden dich auseinander nehmen, um festzustellen, auf welche Weise Irina und der junge Mann entkommen konnten. Und sie haben sie nicht erwischt – ist dir das denn nicht klar –, sonst hätten sie es gar nicht nötig, dir so etwas anzutun. Sie würden alle zusammenrufen und sich dann alle miteinander an ihrem Unglück weiden – also fasse dich. Schau, dort ist ein Lichtschein unter der Tür. Setz dich auf den Boden und rück so dicht an die Tür, daß du das Licht sehen kannst. Dann vergisst du, daß es hier so eng und finster ist, weil du dir draußen den Korridor vorstellen kannst. Du wirst bald draußen jemanden vorbeigehen hören …
    Weine meinetwegen, fluche, rede mit dir selbst. Tu, was du willst, aber denk nicht immer an den engen Raum. Atme tief durch und beruhige dein Herz. Es wird zu hämmern aufhören, wenn du tief einatmest. Denk daran – das bringt man Frauen bei der natürlichen Geburt bei, damit sie sich entspannen und Ruhe bewahren können. Denk an Sasonow – nein, denk nicht an ihn, sonst fällt dir seine Frau wieder ein und was sie mit dir machen werden … wenn du den Atem lange genug anhältst, kannst du das Bewußtsein verlieren. Lieber Gott, warum werde ich nicht einfach ohnmächtig – Menschen gehen an dir vorbei, du kannst sie hören. Vielleicht sind sie gekommen, um dich herauszulassen …
    Als sie schließlich tatsächlich herausgelassen wurde, schmerzten ihr die Augen von dem hellen Licht. Sie ging den Korridor mit sicheren Schritten entlang und trat durch die Tür in die Kabine. Und dann sah sie, daß es keine Kabine, sondern ein Wandschrank war – niedrig und winzig. Als die Tür zugeschlagen wurde und das Licht ausging, hörte sie sich schreien, bevor ihre Knie nachgaben und sie in Ohnmacht fiel.
    Igor Kaledin schlürfte den heißen Tee. Man hatte den Samowar mit Käse, Gebäck und einer Flasche polnischen Cognac in Wolkows Büro gebracht. Die Jalousien waren zugezogen, und ein heller Lichtstrahl fiel über seine Schulter auf die Akten, die vor ihm aufgetürmt lagen. Der Rest des Arbeitszimmers lag in angenehmem Halbdunkel. Er hatte den ganzen Tag dort zugebracht, die Akten aus Antoni Wolkows siebenjähriger Amtszeit studiert und Stück für Stück den Plan zusammengesetzt, den dieser ausgeheckt hatte, um Kaledins Posten im Politbüro zu erhalten. Die Tatsache, daß er tot war, besänftigte den Zorn des alten Mannes keineswegs. Der Umstand, daß sein Tod eine Kettenreaktion ausgelöst hatte, die ausschließlich auf seinen geheimen Verrat zurückging, empörte Kaledin. Er

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