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Davina

Titel: Davina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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kann!«
    »Ich glaube nicht, daß es sich um Irrtümer handelt«, sagte er. »Ich bin sehr für jene soziologischen Gedanken, die Sie zum Ausdruck bringen, wenn Sie es auch nur andeutungsweise tun. Ich will Sie nicht kritisieren – ich gratuliere Ihnen. Und ich weiß, wie schwer Sie es in den letzten Monaten gehabt haben. Starren Sie mich nicht so an, Irina Iwanowna, als ob ich Sie in eine Falle locken und beim KGB denunzieren wollte.«
    Die Augen des Mädchens füllten sich mit Tränen. »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, stammelte sie. »Ich habe nichts Falsches getan. Ich hatte nicht die Absicht, etwas zu schreiben …«
    Er schüttelte den Kopf. »Von Ihrem Vater haben Sie keine Nachrichten, oder?«
    Sie blickte ihn in panischer Angst an. »Nein. Nein, wir reden gar nicht über ihn.«
    »Aber daß Sie ihn verloren haben, hat Sie tief getroffen, nicht wahr?« fragte er mit sanfter Stimme. »Glauben Sie mir, Irina, wenn ich mit Ihnen rede, gehe ich ein ebenso großes Risiko ein wie Sie, wenn Sie mir antworten. Wollen Sie mir vertrauen?«
    Er wußte es zwar nicht, aber sie hatte romantische Gedanken um ihn herum gesponnen, seit er ihr Dozent geworden war. Diese Phantasien hatten sie auf andere Gedanken gebracht. Jetzt aber errötete sie aus anderem Grund.
    »Vertrauen Sie mir!« wiederholte er. »Bitte.«
    Sie nickte und fürchtete, in Tränen auszubrechen.
    »Sie vermissen Ihren Vater, nicht wahr?«
    »Ja …« Es war nur ein Flüstern.
    »Und glauben Sie, daß er gestorben ist oder daß er sich in den Westen abgesetzt hat?«
    »Ich weiß es nicht«, klagte sie. Sie zögerte einen Augenblick und sagte dann rasch: »Meine Mutter glaubt, er sei übergelaufen. Sie erzählte mir, er habe sich schrecklich aufgeregt, weil ein Freund von ihm verhaftet worden ist. Sie redet nicht viel. Wir versuchen nicht daran zu denken.«
    Poliakow nahm ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche. Seine Hand zitterte leicht, als er sich eine anzündete. Er war weit genug gegangen, und der gesunde Menschenverstand riet ihm, es dabei bewenden zu lassen. Aber im Gesichtsausdruck des Mädchens lag so viel Not und Angst, daß er jede Vorsicht fahren ließ. Er ließ sich durch Mitgefühl und Empörung fortreißen. »Wenn Ihr Vater in den Westen übergelaufen ist, was würden Sie ihm gegenüber empfinden? Haben Sie keine Angst, mir zu antworten. Begreifen Sie nicht, daß mein Leben jetzt auch in Ihrer Hand liegt?«
    Sie blickte zu ihm auf. »Warum stellen Sie mir diese Fragen? Wie kann ich wissen, daß Sie nicht für die Polizei arbeiten?«
    »Das wissen Sie natürlich nicht«, sagte er. »Sie müssen dieses Risiko eingehen. Wie würden Sie gegenüber Ihrem Vater empfinden?«
    »Ich würde mich schämen …« sagte sie langsam. »Aber ich wäre auch froh, wenn er noch lebte.«
    »Würden Sie ihm verzeihen – und ihn wieder sehen wollen, falls er zurückkäme?«
    »Selbstverständlich«, murmelte sie. »Aber das ist unmöglich. Man würde es nicht zulassen.«
    »Und würde Ihre Mutter das gleiche sagen wie Sie?«
    »Ich weiß nicht«, antwortete Irina. »Ich kann nicht für meine Mutter sprechen. Sie weint jede Nacht, das weiß ich.«
    »Gut.« Poliakow rutschte vom Tisch herunter und legte die Bögen ihres Aufsatzes zusammen. »Ich möchte, daß Sie über etwas Bestimmtes nachdenken: Wie würden Sie empfinden, wenn Sie Ihren Vater wieder sehen könnten? Und wie wäre es mit Ihrer Mutter? Denken Sie darüber nach. Ende nächster Woche werde ich wieder mit Ihnen sprechen. Sie können jetzt gehen.«
    Sie stand auf und blieb einen Augenblick unschlüssig vor ihm stehen. Er legte ihr die Hand auf die Schulter.
    »Gehen Sie«, bat er leise. »Ich habe jetzt eine andere Vorlesung. Und verraten Sie mich nicht, hören Sie, Irina Iwanowna?«
    »Niemals«, sagte sie. »Nie und nimmer.« Sie drehte sich um und eilte davon. Sie hielt den Kopf gebeugt, um die Röte auf ihren Wangen und die unvergossenen Tränen zu verbergen. Am selben Abend ging Poliakow in die Wohnung einer Kollegin und erzählte ihr bei lauter Radiomusik, daß er Sasonows Tochter angesprochen habe und daß die Reaktion günstig zu sein scheine. Sie könne diese Auskunft an Elizabeth Cole von der Botschaft bei ihrem nächsten Treffen weitergeben.
    Aber bevor sie dies tat, erschien in der ›Prawda‹ und in der ›Iswestija‹ ein Artikel mit der Nachricht, der Leichnam von Oberst Iwan Sasonow sei im Süden von England ans Ufer geschwemmt worden. Es wurde behauptet, er habe Selbstmord

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