Davina
wahrscheinlich, daß seine Frau aus Angst vor einer KGB-Falle negativ reagieren würde, wenn sie jemand ansprach. Er stand auf und ging ins Schlafzimmer. In einer Schublade der Kommode fand er, was er suchte.
Als Davina zurückkam, saß er wartend in der Küche und trank Tee.
»Ich will, daß dies hier meiner Frau übergeben wird«, sagte er. »Und ich will wissen, was sie darauf geantwortet hat. Ich stehe für die Befragung zur Verfügung, sobald ich ihre Antwort kenne. Sag dem Brigadier, daß ich nicht länger warten will, und meines Wissens will er es auch nicht.«
»Bist du sicher«, fragte Davina, »bist du sicher, daß du dieses Risiko eingehen willst?«
»Das ist kein Risiko«, sagte er, »dies ist der Beweis, daß ich noch am Leben bin. Ihr könnt es mit der diplomatischen Kurierpost nach Moskau schicken.«
Davina drehte die Ansichtspostkarte von Stonehenge bei Sonnenuntergang um und schaute auf die Rückseite. Die eine Hälfte war mit kyrillischer Schritt bedeckt, den Platz für Name und Adresse hatte er freigelassen.
»Warum diese Karte?« fragte sie ihn. »Warum kein Brief?«
»Wegen des Textes, den ich darauf geschrieben habe«, sagte er. »Sie wird wissen, daß die Karte von mir kommt. Wirst du das noch heute veranlassen?«
»Ich werde es versuchen«, erwiderte sie. Sie sah seinen Gesichtsausdruck und fügte rasch hinzu: »Also gut, ich gebe die Karte heute nachmittag mit in die Post.«
Sie begann, das Mittagessen für sie beide herzurichten. Er war ins Wohnzimmer zurückgegangen. Sie versuchte, die unentschuldbare Niedergeschlagenheit zu ignorieren, die sie überkommen hatte, als er ihr die Karte übergab. Er sehnte sich nach Frau und Tochter. Das hatte sie immer gewußt und auch akzeptiert. Es war jetzt nicht die Zeit, Besitzansprüche geltend zu machen und ihr Verhältnis zu belasten, indem sie ihm das Verlangen nach seiner Familie übel nahm. Schuldbewusst kehrte sie der Küchenarbeit den Rücken, ging ins Wohnzimmer, wo er saß, und legte ihm den Arm um die Schulter.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte sie. »Ich werde alles in Bewegung setzen, falls du es für das Beste hältst. Du brauchst mich nicht anzufahren.«
Er streckte die Hand nach oben und berührte ihre Wange. »Es tut mir leid. Ich will, daß sie wissen, daß ich noch lebe, wenn sie am Grab stehen. Ich will Fedjas Antwort hier in meinen Händen halten.«
Sie ließ ihn allein. Äußerlich wirkte sie heiter, aber in ihrem Herzen breitete sich tiefe Verzweiflung aus. Noch vor fünf Uhr hatte sie die Ansichtspostkarte bei der zuständigen Stelle abgeliefert. Dort wurde sie in einen versiegelten Umschlag gelegt, um mit der nächsten Diplomatenpost nach Moskau zu gehen.
Die Iljuschin landete auf dem Moskauer Flugplatz kurz nach sechs Uhr morgens. Der Sarg wurde ausgeladen und in einen kleinen Lieferwagen gehoben, der sofort in Richtung Innenstadt abfuhr. Um neun Uhr lag der Leichnam unter grellem Licht in der Leichenhalle des KGB; drei Männer umstanden ihn. Der eine war Polizeiarzt, die beiden anderen waren hohe KGB-Offiziere in Zivil. Der größere und älter aussehende der beiden schaute einige Augenblicke, ohne etwas zu sagen, auf den verfärbten, verstümmelten Leichnam hinunter. Dann wandte er sich an den Arzt.
»Wieviel werden wir durch eine Obduktion erfahren?«
»Die ungefähre Todeszeit, General. Wie lange er im Wasser gelegen hat. Sein Alter. Ob er ertrunken ist oder ob er getötet wurde, bevor man ihn ins Wasser warf. Eine Analyse der Organe hängt vom Grad der Verwesung ab.«
»Damit wollen Sie wohl sagen«, meinte der General sarkastisch, »daß Sie Iwan Sasonow nicht einwandfrei identifizieren können.« Er warf dem Arzt einen gehässigen Blick zu und empfand Genugtuung, als dieser zusammenzuckte.
»Das Gebiss, General …« sagte er eiligst. »Die zahnärztlichen Unterlagen werden beweisen, ob es sich um Sasonow handelt.«
»Zahnersatz läßt sich fälschen«, erklärte der General unwirsch. »Aber lassen Sie diesen Punkt in jedem Fall überprüfen, Tatitschew.« Er sah den neben ihm stehenden, jüngeren Mann an. »Haben Sie alle Unterlagen?«
»Hier sind sie, Genosse General!« Die Akte mit Sasonows medizinischen Daten wurde ihm übergeben. Er las sie langsam durch und warf ab und zu einen Blick auf die grausigen Überreste, die auf dem Tisch lagen.
»Ja«, sagte er plötzlich, »das ist interessant.« Beide Männer sahen ihn erwartungsvoll an. »Tatitschew – rufen Sie in der Dserschinsky-Straße an. Man
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