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Davina

Titel: Davina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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einem Glas Wodka neben ihr. Sie nahm einen kleinen Schluck.
    »Noch ein bißchen«, riet er, »es wird ein Schock für Sie sein.« Sie gehorchte, und nach einer kurzen Pause fragte Wolkow: »Fühlen Sie sich jetzt stark genug, den Leichnam anzusehen und ihn genau zu prüfen, damit Sie ganz sicher sind?«
    Sie nickte. Der Wodka brannte sich den Weg nach unten. Der Arzt trat vor und nahm die grüne Plastikhaut ab.
    Sie stieß einen kleinen Schrei aus und wandte sich mit geschlossenen Augen um. Tatitschew ergriff ihren Ellbogen und drehte sie sanft wieder um.
    »Sie müssen hinsehen«, sagte er. »Nicht auf das Gesicht – sehen Sie sich nur den Körper an.«
    Sie öffnete die Augen und hielt den Blick auf den schauerlichen Leichnam gerichtet, ohne dabei jenes scheußliche, augenlose Etwas anzusehen, das einmal der Kopf gewesen war. Der Wodka hatte ihr geholfen; langsam beruhigte sie sich, und die Erinnerung kehrte zurück. Da waren keine Hände. Sie konnte unmöglich sagen, ob der Mann, den sie geliebt hatte, mit jenem bedauernswerten Schreckensbild vor ihr identisch war. Aber sie betrachtete ihn genau und suchte nach Anhaltspunkten. Wäre er tot, würden sie und Irina sich in Sicherheit befinden. Sie hob eine Hand vor den Mund und suchte dann in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch. Sie wischte sich über die Lippen und dann über die Augen. »Es ist Iwan«, sagte sie. »Ich erkenne ihn. Es ist mein Mann.« Sie wandte sich ab und brach in Tränen aus.
    »Sind Sie sich dessen ganz sicher?« fragte Wolkow.
    Sie nickte und ließ ihren Tränen freien Lauf.
    »Dann können Sie jetzt wieder nach Hause gehen«, sagte er freundlich. »Sprechen Sie hierüber mit niemandem.«
    »Nein, nein, Genosse General.«
    »Wir sehen uns beim Begräbnis wieder«, sagte er.
    Die Sicherheitsbeamten geleiteten Fedja Sasonowa zur Tür. Wolkow drehte sich um und ging; sein jüngerer Mitarbeiter folgte ihm wie ein gehorsamer Hund auf den Fersen. Die Decke wurde wieder über den Toten gebreitet, und man schob ihn in den Gefrierschrank zurück. Die helle Lampe ging aus. Die Tür wurde abgeschlossen.
    Wieder in ihrer Wohnung, beruhigte Fedja Sasonowa ihre bebenden Nerven mit einer heißen Tasse Tee, in den sie einen Schuß Wodka gegossen hatte. Sie saß allein am Küchentisch und weinte, während sie den Tee in kleinen Schlucken trank. Erschöpft durch die Anstrengung und die Gefühlsregung und unter dem Einfluß des Wodkas schlief sie am Tisch ein.
    Antoni Wolkow beugte sich über seinen Schreibtisch. Er schob die aufgeschlagene Akte seinem Mitarbeiter zu.
    »Lesen Sie das«, sagte er, »fünfte Zeile von oben. Dann sagen Sie mir, wie lange die Sasonows verheiratet sind.«
    Tatitschew las die wenigen Zeilen und hielt inne. »Dreiundzwanzig Jahre«, sagte er.
    »Stimmt. Obwohl kein Jude, war Sasonow beschnitten. Die Geschlechtsteile an dem Leichnam von vorhin waren arg zugerichtet; eine Hode war abgerissen, die andere nur noch zum Teil zu erkennen. Aber sogar ich konnte sehen, daß der Mann nicht beschnitten war. Eine Ehefrau mag sich noch so sehr über den Körper ihres Mannes irren, aber in dieser Hinsicht bestimmt nicht. Sie hat gelogen.«
    »Ja«, sagte Tatitschew, »Sie haben recht. Aber warum, General? Warum sollte sie eine fremde Leiche als die ihres Mannes identifizieren?«
    »Weil sie weiß, daß er nicht Selbstmord begangen hat«, antwortete Wolkow. »Sie wußte, daß er in den Westen übergelaufen ist. Sie hat ihn identifiziert, um uns auf eine falsche Spur zu locken und um sich selbst das Leben zu erleichtern.«
    »Was sollen wir jetzt tun?«
    »Wir werden sie festnehmen«, entschied Wolkow. »Nach dem Begräbnis. Veranlassen Sie alles Weitere. Vielleicht hatte ich sogar gehofft, daß sie wirklich unschuldig ist …«
    Er zuckte die Achseln. »Wenn sie gesagt hätte, der Tote sei nicht ihr Mann, hätte ich sie und ihre Tochter rehabilitiert und von jeglicher Verantwortung für alles, was dieses Schwein uns angetan hat, freigesprochen. Aber jetzt …« Er zuckte wieder mit den Achseln. »Wir stehen also vor einer interessanten Situation. Die Briten sagen, Sasonow sei tot, und geben uns als Beweis diesen halbverwesten Fleischklumpen. Seine Frau sagte das gleiche, und unser Agent in England meldet, er sei bei einem Brand ums Leben gekommen.« Er hielt einen Augenblick inne; er schätzte Tatitschew als Zuhörer. »Brigadier White hat uns einen Leichnam zur Bestattung überlassen, und wir haben ihn akzeptiert, weil wir wissen, daß

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