Davina
Sasonow tatsächlich gestorben ist. Damit hat der ganze Fall für den Westen seinen Propagandawert verloren. Es ist alles klar geregelt und ein gutes Beispiel dafür, wie verfeindete Nachrichtendienste inoffiziell zusammenarbeiten können. So sieht es jedenfalls aus, finden Sie nicht auch?«
»Ich sehe nicht ein, warum die Briten darauf verzichten sollten, uns in eine peinliche Lage zu bringen«, meinte Tatitschew.
»Ich auch nicht«, sagte Wolkow leise. »Der einzige Grund, warum sie uns etwas zugute kommen lassen sollten, ist der, daß sie auch für sich einen Vorteil errungen haben. Was auch immer bei dem Brand geschehen sein mag – Sasonow ist noch am Leben. Aber vorläufig müssen wir gute Miene zum bösen Spiel machen.
Wir werden am Begräbnis teilnehmen, und die Presse wird ausgiebig darüber berichten. Die trauernde Witwe wird mit ihrer Tochter auf den Pressefotos erscheinen. Und wir werden die nächste Meldung unseres Agenten aus England abwarten.«
Charley war gerade vom Friseur nach Hause gekommen, als sie die Zeilen fand, die ihre Putzfrau auf den Merkzettel neben dem Telefon geschrieben hatte. »Mr. Spencer-Barr hat angerufen. Er bittet um Ihren Rückruf unter dieser Nummer.«
Charley las die Mitteilung und runzelte die Stirn. Er hatte sich seit ihrem Dinner im ›Connaught‹ nicht mehr mit ihr in Verbindung gesetzt. Sie hatte sich auch weiter keine Gedanken mehr über ihn gemacht und war wie gewohnt zu ihren Einladungen und Parties gegangen. Dann fiel ihr plötzlich etwas ein, als sie seinen Namen las. Die politischen Spalten in den Zeitungen interessierten sie nicht; Außenpolitik langweilte sie. Aus dem Ausland wurden doch nur Gewalttaten und dergleichen gemeldet. Sie konzentrierte sich lieber auf die Gesellschafts- und Klatschspalten, wo oft auch über sie geschrieben wurde. Es war ein Foto auf der Titelseite gewesen, das ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Dann las sie den Artikel. »Leiche des vermissten Sowjetdelegierten gefunden.« Sie überflog die Einzelheiten und sah sich wieder das Bild des Mannes an, dessen Leichnam an der Küste von Sussex an Land gespült worden war.
Es war kein gutes Bild, offenbar aus einer Gruppenaufnahme heraus vergrößert, aber irgendwie kam ihr der Mann bekannt vor. Es bestand eine entfernte Ähnlichkeit mit dem Polen, den ihre Schwester an jenem Wochenende mit nach Hause gebracht hatte. Slawen sahen schließlich alle irgendwie gleich aus. Sie blätterte um und fing an, etwas anderes zu lesen. Aber die Ähnlichkeit ließ sie nicht los. Sie blätterte zurück und sah sich das Bild noch einmal an. Irgend etwas war da mit der Stellung der Augen … sie hatte damals an dem Wochenende Davinas Freund aufmerksam beobachtet. Allerdings eher, um ihre Wirkung auf ihn festzustellen, als sich sein Gesicht einzuprägen, aber der Eindruck war geblieben. Vermisster sowjetischer Delegierter. Während sie unter der Trockenhaube saß, war es ihr irgendwie kalt den Rücken heruntergelaufen. Es war natürlich Unsinn. Nach dem Artikel war der Mann schon Monate tot. Und Slawen sahen sich auf schlechten Fotos erst recht ähnlich. Sie dachte nicht mehr daran und verlor sich in einem langen Artikel über Frühjahrsmoden in der Zeitschrift ›Harpers and Queen‹.
Mit Spencer-Barrs Nachricht in der Hand mußte sie wieder daran denken. Er hatte sie zum Abendessen ausgeführt und fast den ganzen Abend nur über ihre Schwester und den polnischen Freund gesprochen. Jetzt hatte er plötzlich wieder angerufen, wo sie gedacht hatte, er sei längst nach Amerika gereist. Er hatte sich sehr für dieses Verhältnis interessiert. Charley erinnerte sich, daß er gesagt hatte, Davina habe einen Posten bekommen, den er selbst gern gehabt hätte, und daß ein Verhältnis mit einem Polen gegen sie ausgelegt werden könnte.
Sie hob den Hörer und drückte die Knöpfe. Die Vermittlung meldete sich: »Verteidigungsministerium. Wen möchten Sie bitte?«
Charley bat, mit Spencer-Barr verbunden zu werden.
Seine Stimme klang kurz angebunden und abweisend: »Spencer-Barr.« Als sie ihren Namen nannte, änderte sich sein Tonfall.
Er klang freundlich und interessiert.
»Ach, wie nett von Ihnen, daß Sie zurückrufen. Ich habe in der letzten Woche mehrfach versucht, Sie zu erreichen, aber vergeblich.«
Du Lügner, dachte Charley im stillen, wenn die Putzfrau nicht da ist, habe ich einen automatischen Anrufbeantworter.
»Ich habe Ihre Nachricht bekommen«, sagte sie. »Ich war erstaunt, denn ich war
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