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Davina

Titel: Davina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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zu helfen. Wir müssen seiner Familie helfen. Ich weiß, daß es gefährlich ist, und ich werde mich vorsehen.«
    »Es ist gefährlich, weil sie der Ehefrau und der Tochter vertrauen müssen«, sagte sie. »Wenn eine von beiden Sie verrät, bedeutet das für Sie alle das Ende.« Einschließlich meines kleinen Netzes, das ich aufgebaut habe, dachte sie bei sich. Sie zog einen braunen Umschlag aus ihrer Handtasche und schob ihn ihm unter dem Tisch zu. »Das ist von Sasonow«, flüsterte sie. »Es ist der Beweis, daß er noch lebt. Geben Sie ihn Irina nach dem Begräbnis. Bis dahin muß sie in dem Glauben bleiben, daß ihr Vater tot ist. Können Sie den Umschlag sicher aufbewahren?«
    Er schob das Kuvert in seine Jackentasche. »Ich kann Ihnen versprechen, daß es niemand finden wird. Ich habe eine Vorlesung in ihrer Klasse am Mittwoch, dem 26. Das ist eine Woche nach dem Begräbnis.«
    »Das ist genügend Zeit«, sagte Elizabeth. »Sind Sie sich wirklich ganz sicher, daß sie mitmachen wird? Vergewissern Sie sich um Gottes willen, bevor Sie ihr den Umschlag übergeben.«
    »Ich weiß es«, betonte er, »sie ist in ihrem Herzen eine Neu-Russin. Das weiß ich.«
    »Gut«, sagte Elizabeth und ergriff ihre Tasche mit dem Einkauf vom ›Gum‹. »Hoffentlich haben Sie recht. In unser aller Interesse. Wir treffen uns hier nächste Woche um diese Zeit wieder. Ich gehe zuerst.« Sie verließ die Teestube, ohne sich nach ihm umzudrehen. Er trank seinen Tee aus, zündete sich eine Zigarette an und las während der nächsten zwanzig Minuten Zeitung. Eine ältere Frau setzte sich an seinen Tisch, und sie wechselten ein paar Worte, bevor auch er hinausging.
    »Ich werde noch verrückt, wenn ich weiter hier eingesperrt bleibe!« sagte Sasonow und drehte Davina den Rücken zu. »Und jeden Tag dasselbe Lied – keine Nachricht!«
    Er wandte sich um und sah sie an; aus seinem Blick sprach unverhohlener Argwohn. Sie hatte sich allmählich daran gewöhnt, seit sie in die Geheimwohnung eingezogen waren.
    »Ich glaube einfach nicht, daß meine Frau mir keine Nachricht zu übermitteln hat«, sagte er. »Es ist jetzt schon drei Wochen her, und nichts ist geschehen. Was verschweigst du mir, Vina? Ist ihnen etwas zugestoßen? Oder hat sie die Ansichtskarte nicht bekommen?«
    »Ich habe es dir doch gesagt«, antwortete sie, »immer und immer wieder, daß ihr die Karte übergeben wird und daß wir auf Nachricht warten. Und hör um Himmels willen auf, mir vorzuwerfen, daß ich dich hintergehe! Ich lasse mir das nicht länger gefallen!«
    »Doch, du betrügst mich«, sagte er. »Du wirst mich so lange betreuen, bis dir dein Brigadier White sagt, daß du gehen kannst.«
    »Und unter ›Betreuung‹«, reagierte sie wütend, »verstehst du, daß ich mit dir schlafe?«
    Froh, ein Ventil für die in seinem Innern angestaute Spannung gefunden zu haben, ließ er seinem Zorn freien Lauf. Er trat einen Schritt auf sie zu. »Das auch«, sagte er, »das gehört mit zum Service.«
    Sie hatte noch nie in ihrem Leben einen Mann geschlagen. Sie hatte noch nie die Selbstbeherrschung verloren, auch nicht, als Richard sie verließ. Sie schlug Sasonow so hart wie sie konnte mitten ins Gesicht. Einen Augenblick standen sie einander gegenüber und starrten sich an. Sie sah, wie er die Hand zur Faust ballte und sie dann seitlich wieder herabfallen ließ. Sie drehte ihm den Rücken zu und ging aus dem Zimmer. Er rührte sich nicht; er hörte, wie die Wohnungstür ins Schloß fiel, trat langsam an die zugezogenen Fenstervorhänge und schaute durch einen Spalt hinaus. Außer einer kahlen Mauer war nichts zu sehen. Das Fenster ging auf den Lichtschacht des Gebäudes hinaus. Sie konnten nichts sehen und auch nicht gesehen werden. Er ließ den Vorhang wieder herunter und rieb sich das Gesicht. Der Schlag hatte weh getan. Er zündete sich eine Zigarette an und ließ sich mit solcher Wucht in einen der primitiven, kleinen Sessel fallen, daß eine Feder brach. Er schloß die Augen und gab sich ganz seinem Zorn und seiner Verzweiflung hin.
    Abgrundtiefe Schwermut überfiel ihn; Kummer und Fatalismus gehörten ebenso zu Sasonow wie zu jedem anderen Russen – Erbteil einer langen Geschichte, wo das Leben wenig mehr als Geburt, Leiden und Tod bedeutet hatte. Seine Widerstandskraft war ins Wanken geraten. Er war nach Belezkys Tod in tiefste Verzweiflung versunken. Er war in die Welt der Lebenden zurückgekehrt, weil er den Entschluß gefaßt hatte, seine Heimat zu verlassen und

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