Davina
helfe mir.«
»Aufhören. Beendet diese Qual.«
»Verloren. Finsternis. Ich bin verloren.« Das Gekritzel war mit dem Blechlöffel, der mit der Suppe hereingebracht wurde, in die Wände geritzt worden. Sie wußte, daß dies das Werkzeug war, denn sie ritzte selbst einige Worte ein. Die Inschriften erschreckten sie. Ebenso die kaum leserlichen Namen. Da standen viele Namen, aber nur wenige armselige Worte waren in die Betonwände eingegraben worden. Fedja weinte und fröstelte; sie hockte sich in eine Ecke und versuchte zu schlafen. Die Wachen beobachteten sie von der anderen Seite der Tür. Gegen Ende der Wochen quälten sie Magenschmerzen und entsetzliches Kopfweh. Das Klappbett wurde heruntergelassen, und sie warf sich darauf und versank sofort in tiefen Schlaf. Eine Stunde später wurde sie geweckt und auf die Füße gestellt. Das Bett wurde hochgezogen und wieder an der Wand befestigt. Sie jammerte wie ein Kind.
Nach zehn Tagen beschloß man, sie zu verhören. Die Wachen waren Männer; sie kamen mit einem Eimer heißen Wassers und einem Stück Kernseife in die Zelle. Man sagte ihr, sie solle sich ausziehen und waschen. Als sie zögerte, riß ihr der jüngere Wachposten ihre schmutzigen Kleider vom Leib und warf sie in die Ecke. Sie zog sich selbst die Unterwäsche aus und wusch sich nackt vor den beiden. Sie trocknete sich mit einem kleinen, dünnen Handtuch ab und zog den sauberen Gefängnisoverall an. Sie versuchte, den beiden Fragen zu stellen, erhielt aber keine Antwort. Der Mann, der ihr das Kleid heruntergerissen hatte, stieß sie auf den Korridor hinaus. Sie warf einen kurzen Blick auf den langen, kahlen, hell erleuchteten Gang, und ihre Knie gaben nach. Sie wurde wieder auf die Beine gestellt und von beiden Seiten gestützt, bis sie einen Lift erreichten. Ein Gefühl der Angst überkam sie, und sie drohte die Selbstbeherrschung zu verlieren. Man brachte sie in das Vernehmungszimmer. Und dann ließ die Angst ebenso schnell wieder nach. Der Lift fuhr aufwärts, nicht abwärts. Ihre Erleichterung war so überwältigend, daß sie sich sichtbar aufrichtete und ohne Hilfe der beiden Posten stehen konnte.
Sie traten auf einen anderen Gang hinaus. Dieser hatte Fenster, doch waren die Scheiben mit einem feinen Stahlgespinst überzogen. Kein Selbstmord, dachte sie, keine Chance, in den Tod zu flüchten. Diese Leute hatten sich den Tod dienstbar gemacht. Als sie in Wolkows Arbeitszimmer geführt wurde, begann sie wieder am ganzen Körper zu zittern. Er saß in einem Sessel und trank Tee. Er stand auf, als er sie sah, und sagte: »Bringt der Genossin Sasonowa einen Stuhl. Möchten Sie etwas Tee, Genossin?«
Sie ließ sich langsam auf den Stuhl sinken und umklammerte die beiden Seitenlehnen. Wolkow schaute sie an, als sei das alles ganz normal und sie statte ihm lediglich einen Besuch ab.
»Tee?« fragte er erneut.
»Nein, vielen Dank, Genosse Wolkow«, sagte sie. »Ich würde ihn verschütten.«
»Und warum würden Sie das tun?« fragte er freundlich. »Weil Ihre Hände zittern?«
Sie nickte.
»Warum zittern Sie, Genossin? Fürchten Sie sich?«
Sie blickte in seine blassen Augen: sie waren wie Metall. Sie versuchte mit aller Macht, ihre Nerven zu beruhigen und sich zu konzentrieren. Sie mußte antworten, ihr Leben stand auf dem Spiel. Und nicht nur ihr Leben; in Gedanken klammerte sie sich fieberhaft an die Wirklichkeit. Sondern auch das Leben ihres Kindes – Irina. Irina, die ihr die Nachricht von Sasonow überbracht hatte – ihre Tochter, die mit Dissidenten in Verbindung stand.
Sie sagte mit leiser Stimme: »Ja, ich fürchte mich, Genosse Wolkow. Ich weiß nicht, was ich mir habe zuschulden kommen lassen.«
»Es fällt Ihnen nichts ein?« Die Frage wurde in demselben freundlichen Ton gestellt.
»Sagen Sie es mir, bitte«, bat sie. »Sagen Sie es mir, Genosse, damit ich ein Geständnis ablegen und um Nachsicht bitten kann.« Tränen rannen ihr über das Gesicht.
Wolkow betrachtete sie mit Abscheu. Wenigstens war sie sauber; er konnte schlechte Gerüche nicht ertragen. Bevor er irgend jemanden nach zehn Tagen Gefängnis verhörte, wurde der Betreffende immer gewaschen und erhielt saubere Kleidung. Sie war eine dumme Person, fand er. Er, der selbst aus einer intellektuellen Familie stammte, erkannte in ihr die Bauersfrau und verachtete sie. Ihre Tochter Irina besaß die Intelligenz ihres Vaters und glich ihm auch äußerlich. Wolkow wußte, daß Sasonow seine Frau sehr gern hatte. Er bedauerte nur,
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