Davina
zu einem überfallartigen Angriff zu Lande, ohne den Einsatz von Atomwaffen. Was hätte es sonst für einen Sinn, eine Armee von der Größe der sowjetischen zu unterhalten? Und eine Marine und eine Luftwaffe?«
»Sie stützt unsere Wirtschaft«, sagte Sasonow. »Und hält die Welt in Schach. Wenn die Sowjetunion kämpft, dann zu dem Zweck, den Gegner zu vernichten. Auf Satelliten stationierte Raketen. Ein blitzartiger Schlag, der so rasant und so plötzlich kommt, daß für eine Vergeltung keine Zeit mehr bleibt. Wir werden vielleicht die eine oder andere Stadt einbüßen – Moskau, Leningrad. Aber Sie werden den Krieg verloren haben, bevor Sie überhaupt zu kämpfen beginnen. So wird die Sache laufen.«
Er schloß das Fenster.
»Wollen Sie eine Partie spielen?« wiederholte Kidson.
Sasonow ließ sich schwer in den Sessel fallen.
»Nein. Ich hätte lieber einen Drink.«
»Selbstverständlich.« Kidson goß ihnen beiden ein Glas Wodka, Marke Stolytschnaja ein, den der Russe besonders liebte.
»Ich habe das, was Sie da sagen, nie für richtig gehalten«, sagte er nach einer Weile. »Falls die Sowjetunion die westliche Welt in eine öde Wüste verwandelt – was nützt es ihr dann, wenn sie letzten Endes Sieger bleibt? Nach den augenblicklich gültigen Berechnungen würde ein Atomkrieg die betroffenen Gebiete über mindestens fünfzig Jahre völlig unbewohnbar machen. Und sogar dann wäre es unmöglich, das Land zu bebauen. Die Gewässer wären leer, das Gleichgewicht der Natur, das das Leben erst möglich macht, wäre unwiderruflich gestört. Die Sowjetunion würde über einen Friedhof herrschen.«
»Einen amerikanischen Friedhof«, sagte Sasonow. »Nicht Europa oder der Osten. Diese Gebiete würden uns sowieso in die Hand fallen, sobald Amerika zerstört ist. China könnte mit konventionellen Waffen ausgeschaltet werden. Wir könnten nach Belieben regieren, und jenseits des Atlantiks läge jener riesige, vergiftete Kontinent, wo es keinerlei Leben mehr gibt. Geländeübungen wie die da draußen werden uns nicht davon abhalten.«
»Vermutlich nicht«, pflichtete Kidson ihm bei. »Wodurch ließe sich so etwas verhindern?«
Sasonow runzelte die Stirn und nippte an seinem Drink.
»Durch die Einkreisung der Sowjetunion«, riet er. »In der Luft, zu Lande und auf den Weltmeeren. So nahe wie möglich heran ans Herz des Landes. Das wollen Amerika und der Westen doch erreichen, oder? Aber sie werden verlieren. Sie verlieren die Partie.«
Kidson sagte: »Politische Schwäche, wirtschaftliche Rezession, Ölkrise, Inflation … Wir kennen alle Argumente, aber im Augenblick fällt uns noch nicht die richtige Antwort ein. Wir brauchen Antworten, und zwar bald, falls Sie nicht recht behalten sollen. Und ich nehme an, daß Sie auch nicht recht behalten wollen, sonst wären Sie nicht hier.«
Es war das erste Mal, daß Kidson seine eigentliche Rolle übernahm.
»Nein«, sagte Sasonow. »Ich will nicht, daß die Zukunft so aussieht. Ich will nicht, daß unser politisches System gewinnt. Und ich will nicht, daß auch nur eine einzige Atombombe auf eine russische Stadt fällt.«
»Sie können viel dazu beitragen, daß es nicht dazu kommt«, sprach Kidson. »Sie haben viel Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Sie haben sogar einen kleinen Einblick in das Leben im Westen erhalten. Wir halten unsere Zusage, und Sie haben erklärt, daß Sie bereit sind, auch Ihr Versprechen einzulösen. Stimmt das?«
»Ja«, erwiderte Iwan Sasonow. »Ich bin jetzt bereit. Ich werde die Zusammenarbeit mit Ihren Experten beginnen, sobald diese es wollen. Aber noch eine Frage – wo ist Vina Graham?«
Kidson war darauf gefaßt. »Sie verläßt England noch heute abend«, entgegnete er.
Das war eine Lüge, denn im Augenblick befand sie sich noch im Sprachenzentrum, um ihr Deutsch aufzufrischen. Aber Sasonow wollte die Wahrheit sowieso nicht hören. Er brauchte einen Katalysator, um den geeigneten Rahmen zu finden, der den Verrat an seiner Heimat und an seiner Vergangenheit rechtfertigte. Für eine Sekunde veränderte sich sein Gesichtsausdruck; die Bedeutung war schwer einzuschätzen. Dann bekam sein Gesicht wieder etwas Maskenhaftes. Er trank seinen Wodka aus.
»Wann fangen wir an?« fragte er.
»Am besten noch heute.«
Kidson stand auf und wählte eine Nummer auf dem Haustelefon. Er sprach leise in den Apparat, und Sasonow machte sich nicht die Mühe zuzuhören. Kidson hob den Kopf, sah den Russen an und nickte, bevor er den Hörer
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