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Davina

Titel: Davina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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damals so verängstigt gewesen, daß sie die Hände gegen die Ohren gedrückt und in ihr Buch gestarrt hatte, nur um nicht mehr zu hören. Belezky war in der psychiatrischen Klinik gestorben. Die tragische Folge waren das Verschwinden ihres Vaters, die Monate der Angst und Vereinsamung und schließlich die Verhaftung ihrer Mutter gewesen. Beim Gedanken an ihre Mutter begann sie zu weinen. Aber sie wischte sich die Tränen rasch wieder ab und blickte ängstlich in ihren Spiegel, um zu sehen, ob sich ihre Augen gerötet hatten.
    Wolkow konnte ihrer Mutter helfen – vorausgesetzt, sie brachte ihn dazu. Sie brauchte ihm nur von Poliakow und der Nachricht von ihrem Vater zu erzählen. Er würde eine einzige Frau mit Gewissheit gegen einen Universitätsdozenten eintauschen, der mit dem Überläufer im Westen in Verbindung stand. Und nicht nur gegen den Dozenten, sondern auch alle die anderen, die Glieder in der Kette bildeten, die zu ihrem Vater führte. Sie bogen von der Hauptstraße ab und fuhren in den Wald. Der Wagen wurde von zwei Wachposten angehalten, die aus dem Dickicht heraustraten, und sie konnten die Fahrt sofort fortsetzen. Sie hielten vor einem einstöckigen, aus Baumstämmen errichteten Gebäude; aus den Fenstern drang Licht heraus, und man hörte Musik. Sie stieg aus, strich sich den Rock glatt und schob sich die Handtasche unter den Arm. Sie schritt die wenigen Eingangsstufen hinauf und ging hinein.
    »Na«, sagte Wolkow lächelnd, »wie gefällt Ihnen dieses Lokal? Ist es nicht nett?«
    Irina gab ihm recht. »Es ist wunderschön«, antwortete sie.
    Das Innere war so luxuriös eingerichtet, wie sie es noch nirgends gesehen hatte. Rote Plüschsessel und vergoldete Stühle, farbige Kristallampen auf jedem Tisch und frische Blumen. Ein nach alter Bauernart gekleideter Mann wanderte zwischen den Tischen herum und spielte auf einer Balalaika. Das war die Musik, die sie draußen gehört hatte. Von draußen hatte das Haus schlicht, fast grob gewirkt. Drinnen war alles so prunkvoll, daß sie nicht umhin konnte, sich umzusehen und alles zu bewundern. Die Tische waren voll besetzt. Männer dinierten mit elegant gekleideten Frauen, deren Garderobe aus den Spezialgeschäften stammte, die für das KGB reserviert waren und wo Waren aus dem Westen ausschließlich für die oberen Zehntausend bereitlagen. Das Essen war ausgezeichnet.
    »Es war sehr nett von Ihnen, mich hierher zubringen, Genosse Wolkow«, sagte sie.
    Er lächelte wieder. Im Straßenanzug sah er weniger bedrohend und etwas jünger aus.
    »Es ist überhaupt nicht nett«, sagte er. »Sie sind ein reizendes Mädchen, meine Liebe. Ich tue damit nicht nur Ihnen, sondern auch mir selbst einen Gefallen. Außerdem …« Er schenkte ihr Wein ein und füllte auch sein eigenes Glas. »Außerdem«, fuhr er fort, »haben Sie im letzten Jahr viel durchmachen müssen, nicht wahr?«
    Sie nickte, wußte aber nicht, was sie darauf sagen sollte.
    »Und das Ganze ohne Ihre Schuld – das ist bei solchen Familiensituationen immer so unfair. Ich habe Fedja Pawlowna bisher nicht erwähnt, weil ich Ihnen den Abend nicht verderben wollte.«
    Sie blickte zu ihm auf, nackte Angst lag in ihren Augen.
    »Was ist mit ihr? Ach, bitte, Genosse, sagen Sie es mir.«
    »Beruhigen Sie sich, mein Kind. Ihrer Mutter geht es gut. Sie hat Glück, denn sie steht unter meinem persönlichen Schutz. Deshalb ist sie völlig wohlauf.«
    »Oh, ich danke Ihnen, ich danke Ihnen«, flüsterte sie. Sie wischte sich die Tränen ab. »Wo ist sie? Können Sie mir das sagen?«
    »Selbstverständlich«, sagte er sanft. »Sie ist noch in der Lubjanka. Sie wartet dort, bis eine Entscheidung getroffen ist. Meine Entscheidung, nach Lage der Dinge.«
    Er sah den gequälten Ausdruck auf dem Gesicht des Mädchens und spürte ein leichtes Rieseln in seinen Gliedern. Sie war frisch und jung. »Bitte«, sagte sie, »bestrafen Sie sie nicht. Was sie auch getan haben mag – sie hat es nicht so gemeint. Sie ist nicht raffiniert, Genosse Wolkow. Sie würde nicht mit Absicht ein Verbrechen begehen …«
    Er runzelte die Stirn und spielte den gestrengen Vorgesetzten.
    »Aber sie hat eines begangen«, sagte er. »Sie hat vorsätzlich die Unwahrheit gesagt. Sie log hinsichtlich des Gesundheitszustands Ihres Vaters. Deshalb durfte er ins Ausland reisen, und wir kennen das Ergebnis. Er beging Selbstmord. Es fällt mir sehr schwer, ihr zu verzeihen. Ihr Vater war nicht bloß einer meiner Mitarbeiter, wie Sie wissen, er war

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