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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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Gemeinde« habe bei der »deutsch gesinnten Bevölkerung stärkste Beachtung und Zufriedenheit« hervorgerufen. 71 Die Ortsgruppe Schonungen im Gau Mainfranken teilte im April mit: »Endlich haben die letzten Juden Schonungen verlassen. Mit Befriedigung haben wir diese Tatsache festgestellt. Trotzdem gibt es noch Volksgenossen, die ein falsches Mitleid mit dieser Rasse haben.« 72
    Im Juli berichtete die SD-Außenstelle Detmold aus Lemgo, der »Abtransport der letzten Juden« habe »größeres Aufsehen erregt«. 73 Zahlreiche Menschen hätten sich auf dem Marktplatz der Stadt, der als Sammelpunkt diente, eingefunden. Der Bericht vermittelt das Bild einer lebhaften Diskussion:
    »Es konnte beobachtet werden, dass [von] ein[em] große[n] Teil der älteren Volksgenossen (darunter sollen sich auch Parteigenossen befunden haben) die Maßnahme des Abtransportes der Juden aus Deutschland allgemein negativ kritisiert wurde. Gegen den Abtransport wurde mehr oder weniger offen mit allen möglichen Begründungen Stellung genommen. So wurde gesagt, dass die Juden in Deutschland ja sowieso zum Aussterben verurteilt seien und diese Maßnahme, die für die Juden eine besondere Härte bedeutete, sich daher erübrige. Selbst solche Volksgenossen, die bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit früher ihre nationalsozialistische Gesinnung herausgestellt hätten, hätten in dieser Hinsicht Partei für die Interessen der Juden bzw. der kirchlich gebundenen Volksgenossen genommen. Innerhalb der kirchlich gebundenen Kreise wurde geäußert: ›Wenn das deutsche Volk nur nicht eines Tages die Strafe Gottes zu gewärtigen hat.‹ Nationalsozialistisch gefestigte Volksgenossen versuchen den anders Denkenden klarzumachen, dass diese Aktion völlig berechtigt und auch unbedingt notwendig sei. Dem wurde entgegengesetzt, dass die alten Juden uns auch hier nicht mehr schaden können, denn sie täten ›keiner Fliege etwas zuleide‹. Auch seien sehr viele Juden dabei, die viel Gutes getan hätten und die noch lange nicht so schlecht seien, als die ›Weißen Juden‹. Diese müsse man dann auch abtransportieren und in ein Lager stecken. Ein bezeichnender Fall der Stellungnahme für die Juden ereignete sich bei dem Abtransport derselben in Sabbenhausen. Hier hatte die Frau des Lehrers Heumann versucht, den Juden Wurst und andere Lebensmittel zu bringen. Nach Mitteilung des Ortsgruppenleiters Schlichting wurde Frau Heumann polizeilich festgenommen.«
    Doch nicht nur die Deportationen wurden offensichtlich zumindest auf örtlicher Ebene teilweise lebhaft erörtert; die Exekutionen von Juden in den besetzten sowjetischen und polnischen Gebieten beschäftigten die Bevölkerung in diesem Zeitraum ebenfalls relativ stark. So meldete etwa die SD-Außenstelle Minden im Februar 1942, man könne in Gesprächen mit aus dem Osten kommenden Frontsoldaten feststellen, »dass die Juden hier [in] Deutschland noch viel zu human behandelt würden. Es wäre das richtige, die ganze Brut müsste vernichtet werden.« 74 Die NSDAP-Ortsgruppe Mainberg gab im März 1942 an, Soldaten, die aus Warschau und Lodz kämen, würden »öffentlich über die Art der Beseitigung der Juden in diesen Städten erzählen«. 75
    Ein Mitarbeiter der Hauptaußenstelle Erfurt des SD berichtete im April 1942 über Reaktionen auf einen Artikel im Völkischen Beobachter vom 30. April 1942, der die Tätigkeit des SD in den besetzten Ostgebieten zum Inhalt hatte; der Artikel behandelte zwar unter anderem die Bekämpfung von Partisanen, ging aber nicht auf die Judenverfolgung ein. Dies löste in der Bevölkerung unerwünschte Spekulationen aus: »So werde in der Bevölkerung kolportiert, dass der Sicherheitspolizei die Aufgabe gestellt sei, das Judentum in den besetzten Gebieten auszurotten. Zu Tausenden würden die Juden zusammengetrieben und erschossen, während sie erst zuvor ihre Gräber gegraben hätten. Die Erschießungen der Juden nähmen zeitweise einen Umfang an, dass selbst die Angehörigen der Erschießungskommandos Nervenzusammenbrüche bekämen. Diese Gerüchte hätten der Bevölkerung Anlass gegeben, sich ein Bild von der Tätigkeit der Sicherheitspolizei zu machen, das von einem grausigen Nimbus umgeben sei.« 76
    In einem Bericht der SD-Außenstelle Leipzig vom August 1942 werden folgende Äußerungen von Berliner Besuchern wiedergegeben: »Die Judenfrage konnte Hitler auch anders lösen. Menschlicher! So hatte er es nicht nötig! Außerdem müssen das unsere Deutschen in

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