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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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1941 die Bestimmungen über das Auftreten von Juden in der Öffentlichkeit außerordentlich verschärft, die Benutzung von Verkehrsmitteln beispielsweise weitgehend verboten und die Einkaufszeiten stark beschränkt; es hatte außerdem ein Kontaktverbot gegenüber Juden erlassen, das mit Konzentrationslagerhaft geahndet wurde.
    Die von der breiten Masse im öffentlichen Verhalten bekundete Distanz und Indifferenz dürfen also nicht mit Desinteresse oder mit bloßem Wegschauen verwechselt werden, sie sind auch nicht einfach durch Passivität oder Apathie erklärbar. Vielmehr handelt es sich in erster Linie um eine vom Regime durch jahrelange Propaganda und Repression erzwungene Verhaltensweise im öffentlichen Raum, die wenig über die »wahre« Einstellung aussagt. Offensichtlich ist jedoch, dass dieses ablehnende und distanzierte Verhalten sich äußerst negativ auf die Situation der wenigen noch in Deutschland lebenden Juden auswirken musste und auf diese Weise die Verfolgungspraxis weiter verschärfte.

Ende 1942: Das Regime reagiert auf Gerüchte und Informationen über die »Endlösung«
    Dass sich hinter dieser auf den ersten Blick indifferenten und desinteressierten Haltung der Bevölkerung dennoch ein erhebliches Interesse am Schicksal der deportierten Juden verbarg, lässt sich an den Reaktionen der NSDAP-Führung auf die immer wieder umherschwirrenden Gerüchte ablesen.
    Es waren die zunehmenden Mutmaßungen über die Massenerschießungen in Russland, die die Partei-Kanzlei dazu veranlassten, erstmals im Oktober 1942 – also ein Jahr nach Beginn der Deportationen – in einem Schreiben an die Gau- und Kreisleiter Stellung zum Stand der »Judenpolitik« zu nehmen: »Im Zuge der Arbeiten an der Endlösung der Judenfrage«, so hieß es hier, »werden neuerdings innerhalb der Bevölkerung in verschiedenen Teilen des Reichsgebietes Erörterungen über ›sehr scharfe Maßnahmen‹ gegen die Juden besonders in den Ostgebieten angestellt. Die Feststellungen ergaben, dass solche Ausführungen – meist in entstellter und übertriebener Form – von Urlaubern der verschiedenen im Osten eingesetzten Verbände weitergegeben werden, die selbst Gelegenheit hatten, solche Maßnahmen zu beobachten.
    Es ist denkbar, dass nicht alle Volksgenossen für die Notwendigkeit solcher Maßnahmen das genügende Verständnis aufzubringen vermögen, besonders nicht die Teile der Bevölkerung, die keine Gelegenheit haben, sich aus eigener Anschauung ein Bild von den bolschewistischen Gräueln zu machen. […] Da schon unsere nächste Generation diese Frage nicht mehr lebensnah und auf Grund der ergangenen Erfahrungen nicht mehr klar genug sehen wird und die nun mal ins Rollen gekommene Angelegenheit nach Bereinigung drängt, muss das Gesamtproblem noch von der heutigen Generation gelöst werden. Es ist daher die völlige Verdrängung bzw. Ausscheidung der im europäischen Wirtschaftsraum ansässigen Millionen von Juden ein zwingendes Gebot im Kampf um die Existenzsicherung des deutschen Volkes.
    Beginnend mit dem Reichsgebiet und überleitend auf die übrigen in die Endlösung einbezogenen europäischen Länder werden die Juden laufend nach Osten in große, zum Teil vorhandene, zum Teil noch zu errichtende Lager transportiert, von wo aus sie entweder zur Arbeit eingesetzt oder noch weiter nach dem Osten verbracht werden. Die alten Juden sowie Juden mit hohen Kriegsauszeichnungen […] werden laufend nach der im Protektorat Böhmen und Mähren gelegenen Stadt Theresienstadt umgesiedelt. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese teilweise schwierigen Probleme im Interesse der endgültigen Sicherung unseres Volkes nur mit rücksichtsloser Härte gelöst werden können.« 207
    Bemerkenswerterweise wird in dieser internen Unterrichtung der Parteifunktionäre in keiner Weise versucht, den inhaltlichen Kern der Gerüchte – die Massenexekutionen im Osten – zu dementieren. Man kann das Schreiben vielmehr als eine Bestätigung dieser Gerüchte lesen, ja als einen Versuch, die Mordpraxis zu verteidigen.
    Im selben Sinne lässt sich ein wenige Wochen später im Völkischen Beobachter erschienener Beitrag verstehen. Am 7. November 1942 äußerte sich der Völkische Beobachter unter der Überschrift »Die Juden während des Krieges« zu einem unter gleichem Titel erschienenen Leitartikel der schwedischen Tageszeitung Svenska Morgenbladet . Die schwedische Zeitung, so erfährt der Leser des Völkischen Beobachters , habe sich äußerst besorgt

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