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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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Volk habe eine solche Blutschuld auf sich geladen, dass es auf eine Barmherzigkeit und Verzeihung nicht rechnen könne. Alles räche sich bitter auf Erden. Aufgrund dieser barbarischen Methoden sei auch eine humane Kriegsführung unserer Gegner nicht mehr möglich. Die Wutausbrüche der jüdischen Presse und ihre Vernichtungstendenzen sei die natürliche Reaktion.« 69
    Ebenso deutlich wird in den Berichten die durch die Katyn-Propaganda geweckte Sorge, deutsche Kriegsgefangene könnten Opfer ähnlicher Massenexekutionen werden. 70 Die Ängste um vermisste Angehörige beziehungsweise die Furcht um das eigene Leben konnten zu Verzweiflung und Apathie bis hin zur Entfremdung zwischen dem Regime und Teilen der Bevölkerung führen. Die NSDAP-Kreisleitung Neustadt (Franken) gab beispielsweise zu bedenken: »Die Furcht allein als Ansporn des Kampf- und Durchhaltewillens zu benützen, ist eine gefährliche Sache. Es kann auch die gegenteilige Wirkung eintreten, und bei schwachen Gemütern ist dies nach meiner Feststellung auch geschehen.« 71 Daneben war deutlich herauszuhören, dass Teile der Bevölkerung durch derart massive Propagandakampagnen eher abgeschreckt wurden. Die »antijüdische Haltung der Presse hat so plötzlich angesetzt und wird derartig übertrieben, dass wahrscheinlich die Wirkung wenigstens auf das deutsche Volk verloren gehen wird«, hieß es in einem der Partei-Kanzlei vorliegenden Bericht. 72
    Außerdem wurde in Teilen der Bevölkerung die Propagandathese von der pauschalen Kriegsverantwortung »der Juden« offenbar zurückgewiesen. 73 Die Kreisleitung Weißenburg/Bayern meldete: »Es greift in weiten Schichten des Volkes in erschreckendem Maße die Ansicht Platz, dass es völlig gleichgültig sei, ob das deutsche Volk unter die Herrschaft der Engländer, Amerikaner oder gar der Bolschewisten komme, wenn nur der entsetzliche Krieg einmal zu Ende gehe. […] Leider wird der Jude und die damit verbundene Gefahr im Volk nicht mehr beachtet.« 74 Berichte des SD-Abschnittes Linz vom Juni 1943 deuteten auf massive negative Auswirkungen der antisemitischen Kampagne hin. Man sei »mit Abhandlungen über das Judentum in letzter Zeit allzu reichlich bedacht worden« und »durch das überspielte Instrument der Juden-Campagne und sonstiger politischer Abhandlungen großer Aufmachung übermüdet und oft schon angeekelt«. 75 In im Propagandaministerium eingehenden Briefen aus der Bevölkerung scheint die Wiederaufnahme antisemitischer Tendenzen in der Propaganda ebenfalls auf deutliche Kritik gestoßen zu sein. 76
    Auch die Bemühungen der Propaganda, die Luftangriffe auf deutsche Städte als das Werk jüdischer Hintermänner darzustellen, erwiesen sich als zumindest teilweise kontraproduktiv. Wenn, so die vox populi in den Stimmungsberichten, die Juden so mächtig seien, warum hatte man sie sich dann unbedingt zum Feind machen müssen? Der SD Halle meldete: »Die Judenrache, die jetzt käme, sei schrecklich und man habe dieses nur der Regierung zuzuschreiben. Hätte man deutscherseits die Juden nicht angegriffen, so wäre es bereits zum Frieden gekommen.« 77 Aus Würzburg hieß es: »Die Vertreibung der Juden hätte nicht erfolgen sollen, dann würden diese heute nicht so gegen uns arbeiten.« 78 Hätte man, so fragten andere, die Juden nicht besser als Geiseln im Reich behalten anstatt sie zu vertreiben? 79
    Die Bombardierung von Talsperren als Ausgeburt eines teuflischen und verdammenswerten jüdischen Planes darzustellen, stieß laut Stimmungsberichten vielfach auf Unverständnis. »Moralische Auslassungen« seien angesichts so effizienter Zerstörung kriegswirtschaftlich wichtiger Anlagen fehl am Platz; warum sei die deutsche Seite nicht in der Lage, dem Feind ebensolche Schäden zuzufügen? 80
    Die Anstrengungen der Propaganda, verstärkt »die Juden« für die Luftangriffe verantwortlich zu machen, führten insbesondere zu Erörterungen, warum bestimmte Ziele angegriffen oder nicht angegriffen wurden – was einem gewissen Fatalismus Vorschub leisten musste. So berichtete der SD aus Köln, es lägen Stimmen vor, die die Bombardierung des Kölner Doms und anderer deutscher Kirchen in Zusammenhang mit den seinerzeitigen Zerstörungen der Synagogen in Deutschland gebracht haben« und daher argumentierten, dass »jetzt ›die Strafe Gottes‹ wirksam werde«. 81
    Im Raum Würzburg wurde spekuliert, die Stadt sei bisher nicht bombardiert worden, weil dort »keine Synagoge gebrannt habe«. Allerdings werde

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