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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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Lösungen der »Juden«- und der »Zigeunerfrage« aussehen sollten; da aber die »dauerhafte Ansiedlung« der Zigeuner ausgeschlossen und die Lösung der »Judenfrage« als Modell für die Regelung der »Zigeunerfrage« dargestellt wird, ging der Verfasser des Artikels offenkundig ebenfalls davon aus, dass beim Leser gewisse Vorstellungen vorhanden waren, wie die »Judenfrage« denn bereinigt wurde.
    Die Deutsche Allgemeine Zeitung veröffentlichte in ihrer Abendausgabe vom 2. Juni 1943 einen Artikel, der die Tätigkeit des SD in den besetzten Ostgebieten würdigte und gleichzeitig eine Begründung dafür lieferte, warum darüber keine Einzelheiten veröffentlicht wurden. Der mit »SS-PK« gekennzeichnete Artikel, der den Autor als Mitglied einer Propagandakompanie der SS auswies, wählte die Form eines »Zwiegesprächs« zwischen einem Wehrmachtsoffizier und einem SD-Führer, die in einem Fronturlauberzug ein Abteil teilten. Es seien ja doch, so der SD-Führer, »die gleichen Gegner – Judentum und Freimaurerei sowie deren politische Exponenten Bolschewismus und liberalistische Plutokratie -, denen man gegenübergestanden« habe. Heute sei jedoch »noch nicht die Zeit«, so der SD-Führer weiter, »die Berichte aufzuschlagen, die grundlegend über den Einsatz der Sicherheitspolizei und des SD sprechen. Vieles würde sicherlich nie gesagt werden, da es nicht immer ratsam sei, die Strategie aufzudecken.« 57 Und den Leitkommentar derselben Zeitung vom 29. Mai kann man als Versuch betrachten, das Vorgehen gegen die Juden vor der Leserschaft zu rechtfertigen. Dort heißt es, angesichts der »Proklamation des feindlichen Vernichtungswillens wird auch der Letzte begreifen, vielleicht auch mancher im Ausland, weshalb wir das Letzte rücksichtslos aufbieten, um den Sieg zu erringen, weshalb vor allem auch unsere antisemitische Kampagne so konsequent durchgeführt wird«.
    Offenbar wurde auch der Rundfunk in diese antisemitische Kampagne eingespannt. Laut den Aufzeichnungen Victor Klemperers hielt die »Judenhetze« im Radio sogar länger an als in der Presse, nämlich mindestens bis Ende Juli. 58 Auch die Rundfunkberichterstattung des SD liefert verschiedene Hinweise auf antisemitische Sendungen: So traten etwa in den »Kurzszenen der Woche« fiktive jüdische Charaktere auf, und das Format Hörspiel wurde ebenfalls entsprechend genutzt. 59
    Am 5. Juni hielt Goebbels als weiteren Höhepunkt der antisemitischen Propagandakampagne des Jahres 1943 im Berliner Sportpalast eine in der Presse stark beachtete Rede, in der er noch einmal unmissverständlich klarstellte, dass die deutsche Politik auf die »Ausschaltung« und »Beseitigung« des jüdischen Gegners zielte: »Die gänzliche Ausschaltung des Judentums aus Europa ist keine Frage der Moral, sondern eine Frage der Sicherheit der Staaten. […] Wie der Kartoffelkäfer die Kartoffelfelder zerstört, ja zerstören muss, so zerstört der Jude die Staaten und Völker. Dagegen gibt es nur ein Mittel: radikale Beseitigung der Gefahr. […] Der internationale Jude ist der Kitt, der die feindliche Koalition zusammenhält.« 60

Reaktionen der Bevölkerung
    Mit der Katyn-Kampagne hatte die Politik der NS-Führung, die deutsche Bevölkerung durch gezielte Hinweise auf den vor sich gehenden Mord an den Juden zu Mitwissern und Komplizen des Verbrechens zu machen und ihnen die furchtbaren Konsequenzen vor Augen zu führen, die sie im Falle einer Niederlage treffen würden, ihren Höhepunkt erreicht. Die Reaktionen waren, folgt man den Stimmungsberichten, jedoch ambivalent. Aus Sicht des Regimes lassen sich aus den Berichten – neben positiven Reaktionen 61 – deutlich zwei negative Tendenzen ablesen: erstens eine gewisse Verwunderung darüber, dass das NS-Regime angesichts der von ihm selbst begangenen, weithin bekannten Gräueltaten nun Massenexekutionen der anderen Seite anprangerte, und zweitens die Befürchtung, den deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion drohe ein ähnliches Schicksal beziehungsweise man selbst werde bei einer Niederlage diesen Methoden zum Opfer fallen.
    Am 19. April heißt es beispielsweise in den Meldungen aus dem Reich, »ein großer Teil der Bevölkerung« erörtere »die Liquidierung des polnischen Offizierkorps unter humanitären Gesichtspunkten und gelange deshalb zu der Schlussfolgerung, es sei ›merkwürdig‹ oder gar ›heuchlerisch‹, dass die deutsche Propaganda nunmehr ›ihr Herz für die Polen entdeckt habe‹. Dabei verweise man

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