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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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Feinde nützen und damit dem eigenen Volke größten Schaden zufügen.«

»Miesmacher« allenthalben
    Seit Mitte April 1943, seit dem Beginn der Katyn-Kampagne, hatte Goebbels mit dem Gedanken gespielt, der schlechten »Stimmung« einfach dadurch zu Leibe zu rücken, dass er die vom SD zusammengestellten und in Partei- und Regierungskreisen weit verbreiteten Meldungen aus dem Reich, das wichtigste Organ, das Woche für Woche die unzureichende Wirkung seiner Propaganda dokumentierte, einstellen ließ. Bereits am 17. April heißt es im Tagebuch:
    »Der SD-Bericht bringt mehr Stänkereien. Er erregt überhaupt in letzter Zeit mein allgemeines Missfallen. Er ist gänzlich unpolitisch und wird durchaus ungesiebt an die zuständigen Stellen herangetragen. Daraus entsteht eine gewisse Gefahr; denn die meisten Leser dieser SD-Berichte haben nicht das politische Unterscheidungsvermögen, um eine Nebensächlichkeit von einer Hauptsache zu unterscheiden. Vor allem bringt dieser Bericht zu viele Einzelheiten. Die Führung des Reiches braucht es durchaus nicht zu wissen, wenn irgendwo in einem kleinen Landstädtchen einmal einer seinem gepressten Herzen Luft gemacht hat. Genauso, wie der Führer nicht zu wissen braucht, wenn in einer Kompanie einmal über die Kriegführung geschimpft wird, genauso braucht die politische Führung nicht darüber orientiert zu werden, wenn hier und da einer den Krieg verdammt oder verflucht oder darüber die Schale seines Zornes ausgießt. Das System des SD muss jetzt schleunigst geändert werden. Ich gebe Berndt 94 den Auftrag, eine Zusammenarbeit zwischen SD und Reichspropagandaministerium organisatorisch vorzubereiten. Wenn die an sich guten Materialunterlagen des SD politisch gesichtet und mit den politischen Anschauungen der Gauleiter und Reichspropagandaamtsleiter in Übereinstimmung gebrachen werden, dann könnte man daraus eine gute Informationsquelle machen. Ich will durchaus nicht, dass die politische Führung des Reiches von solchen Informationsquellen abgeschlossen wird; ich will nur verhindern, dass aus einem Floh ein Elefant gemacht wird und sich allmählich ein Bild von der Haltung des deutschen Volkes bei der Reichsführung ergäbe, das durchaus irreführend ist.«
    Die Tagebücher des Propagandaministers zeigen, dass er spätestens seit Mai 1943 mit Himmler darüber verhandelte, den SD-Berichten »wegen defätistischer Wirkung« ein Ende zu machen. 95 Im Juni 1943 wurden die Meldungen aus dem Reich dann tatsächlich durch die SD-Berichte zu Inlandsfragen ersetzt, die nur für einen wesentlich kleineren Kreis von Lesern bestimmt waren. 96 Pläne des Propagandaministers, ein besonderes Informationsblatt für das Reichskabinett zu schaffen, stellten sich als »nichtdurchführbar« heraus; hier gehe es um »delikate Fragen […] die man schriftlich überhaupt nicht beantworten kann«. 97
    Doch noch im Juli fand Goebbels die ihm vorliegenden SD-Berichte auch in der neuen Form »für die praktische Arbeit ganz unbrauchbar. Sie werden unkorrigiert vorgelegt und enthalten alles, was irgendein Anonymus in irgendeiner Stadt oder in irgendeinem Dorf an Meinung in irgendeinem unbewachten Augenblick von sich gegeben hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass aus der Kenntnis solcher Berichte irgendein Nutzen entspringen könnte, und lehne deshalb auch ab, sie in Zukunft ad notam zu nehmen.« 98
    Nicht die schlechte Stimmung sollten demnach beseitigt werden, sondern das Medium, das auf die trübe Stimmung hinwies. Ursprünglich ein wichtiges Mittel zur Herstellung einer nationalsozialistisch ausgerichteten »Öffentlichkeit«, drohten die Berichte nun zum Forum für unerwünschte Meinungsbilder zu werden. In dem Moment, als dem Propagandaminister allmählich die Kontrolle über die verbindliche Ausrichtung der Öffentlichkeit aus den Händen glitt, musste er fürchten, dass die Stimmungsberichte sich von Propagandaverstärkern in ein Sprachrohr für alternative Ansichten verwandelten. Sie mussten zum Schweigen gebracht werden.
    Doch nicht nur in Kreisen von Regime und Verwaltung ging Goebbels gegen die schlechte Stimmung vor. Gegen Kritiker und »Miesmacher« in Kneipen und an anderen halböffentlichen Orten setzte er eine höchst schlagkräftige Methode ein, der sich die Berliner Parteiorganisation bediente – »Brachialgewalt«. Der unmittelbare Zusammenhang von Propaganda und Gewalt, der für die nationalsozialistische »Stimmungsführung« stets charakteristisch war, lässt sich anhand dieses

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