Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
Vom Netzwerk:
einerseits auf die Tatsache, dass von den Polen 60 000 Volksgenossen in Bromberg und anderen Orten gemordet worden sind, andererseits erkläre man, ›wir haben kein Recht, uns über die Maßnahmen der Sowjets aufzuregen, weil deutscherseits in viel größerem Umfang Polen und Juden beseitigt worden sind‹. Mit der letzten Argumentation werde besonders in intellektuellen und konfessionell orientierten Kreisen gegen die ›propagandistische Ausschlachtung‹ des Fundes im Walde von Katyn geeifert.« 62
    Zur Wirkung der Presse- und Rundfunkpropaganda kann man im gleichen Bericht lesen: »Mit einem weiteren Augenblinzeln wird zugestimmt, dass die deutsche Propaganda sich ›keine Schwachheit anmerken‹ lasse, dass sie die toten Polen gegen die Sowjets und die Juden benutze, obwohl wir selbst mit Polen, Juden und Bolschewisten ›nicht gerade wählerisch umgegangen‹ seien.« Zur Illustration dieser Auffassung wird eine Stimme angeführt: »Wenn ich nicht wüsste, dass im Daseinskampf unseres Volkes jedes Mittel recht ist, wäre mir diese Heuchelei mit dem Mitgefühl für die ermordeten polnischen Offiziere unerträglich.« Hier zeige sich, so der Bericht, dass »mit großer Gedankenlosigkeit geurteilt werde und selbst von den positiv eingestellten Volksgenossen einfach äußere Gleichsetzungen vorgenommen werden«, so dass es die Agitation gegnerisch eingestellter Kreise verhältnismäßig leicht habe, da selbst den Parteigenossen Argumente zur Entgegnung fehlten.
    Die Meldungen untergeordneter SD-Stellen wurden konkreter. So berichtete die SD-Außenstelle Bad Brückenau, man höre vereinzelt »aus bäuerlichen Kreisen […] wir hätten, es mit [den] ›Juden‹ ja auch nicht anders gemacht, sondern auch einen gefähr[lichen] Gegner gewaltsam beseitigt«. 63 Die SD-Außenstelle im schwäbischen Friedberg gab nach Berlin weiter: »Vereinzelt wird die Ansicht laut, dass die Feinde auch in den von uns eroberten Ostgebieten auch Massengräber finden würden. Es seien zwar keine Polen, sondern Juden, die von unseren Truppen systematisch hingerichtet wurden.« 64 Aus Würzburg hieß es: »In kirchlichen Kreisen wird die Anschauung vertreten, es könne sich um Massengräber handeln, die von den Deutschen für die ermordeten polnischen und russischen Juden angelegt wurden.« 65
    In diesem Zusammenhang ist von Interesse, dass die im Juni 1943 auf die Massengräber außerhalb der Vernichtungslager ausgedehnte, streng geheime Aktion 1005 – die systematische Beseitigung aller sterblichen Überreste der Opfer des Judenmordes – bereits wenige Monate später bekannt wurde, wie sich einem SD-Bericht der Außenstelle Bad Neustadt 66 vom Oktober 1943 entnehmen lässt: »Einem Gerücht aus Münnerstadt zufolge hätten die Feindmächte über das Rote Kreuz an den Führer die Frage gestellt, wo die früher im Reich ansässigen Juden verblieben seien. Der Führer hätte daraufhin die Juden wieder ausgraben und verbrennen lassen, damit bei einem weiteren Rückzug im Osten den Sowjets kein Propagandamaterial wie das bei Katyn usw. in die Hände fallen würde.«
    Doch zurück zu den unmittelbaren Auswirkungen der Katyn-Kampagne. Der Regierungspräsident von Schwaben notierte im April, dass laut Meldung eines Landrats die Katyn-Propaganda »Erörterungen über die Behandlung der Juden in Deutschland und in den Ostgebieten ausgelöst habe«. 67 Der Linzer SD kolportierte die Bemerkung eines Pfarrers: »Seit sich die deutsche Propaganda so um Katyn annimmt, höre ich immer mehr Stimmen, die der Überzeugung sind, dass diese Morde von Deutschen verübt wurden.« Ein weiterer Geistlicher habe wörtlich erklärt: »Menschen, die den Mord von hunderttausenden Juden, Polen, Serben, Russen etc. auf dem Gewissen haben, steht nicht das Recht zu, sich zu entrüsten, wenn andere nur ein Teilchen von dem taten, was sie selbst laufend praktizieren.« 68
    Die SD-Außenstelle Lübbecke meldete Äußerungen aus »klerikalen Gruppen« im westfälischen Raum: »Die Nationalsozialisten hätten gar nicht das Recht, sich über die viehische Abschlachtung aufzuregen. Bei der Bekämpfung der Juden im Osten habe die SS ähnliche Abschlachtungsmethoden angewandt. Die scheußliche und unmenschliche Behandlung, wie sie den Juden durch die SS zuteil geworden wäre, fordert geradezu eine Bestrafung unseres Volkes durch den Herrgott heraus. Wenn diese Ermordungen sich nicht bitter an uns rächen würden, dann gäbe es keine göttliche Gerechtigkeit mehr! Das deutsche

Weitere Kostenlose Bücher